Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.

Aktuelle Urteile in allen Sachgebieten
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IBRRS 2023, 0924
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.12.2022 - VK 1-4/22
1. Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.
2. Sämtliche Ausnahmen vom vorrangig durchzuführenden offenen oder nicht offenen Verfahren sind grundsätzlich eng auszulegen. Dies gilt erst recht, wenn nur mit einem Unternehmen verhandelt werden soll, die Vergabe also nicht im Wettbewerb erfolgt.
3. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb erfordert das objektive Fehlen von Wettbewerb. Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen.
4. Die ordnungsgemäße Marktuntersuchung muss zwingend vor der Festlegung der Wahl der Verfahrensart und der Entscheidung, nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern, erfolgen.

IBRRS 2023, 0911

OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.01.2023 - 12 U 92/22
1. Der Bauherr als Auftraggeber kann seine Verkehrssicherungspflicht auf als zuverlässig geltende, sachkundige Architekten oder Bauunternehmer übertragen; ihm verbleiben dann Koordinierungs, Anweisungs- und Überwachungspflichten. Insbesondere muss er einschreiten, wenn ihm Versäumnisse auffallen.
2. Für eine Übertragung der Verkehrssicherungspflicht bedarf es einer klaren Absprache. Der Übertragende muss sich vergewissern, dass der Übernehmende bereit und in der Lage ist, die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen. Eine Imnformation über den Inhalt der Baugenehmigung enthält weder den Antrag noch die Aufforderung, die darin enthaltenen Schutzmaßnahmen umzusetzen.
3. Unmittelbar selbst verkehrssicherungspflichtig bleibt die mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung befasste Person dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahrenquellen erkannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. Er ist dann verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern.

IBRRS 2023, 0925

VGH Bayern, Beschluss vom 03.02.2023 - 15 CS 22.2644
Festsetzungen zu Baugrenzen und zur Dachform sind regelmäßig nicht nachbarschützend. Ein ausnahmsweiser Drittschutz hängt vielmehr vom Planungswillen der Gemeinde ab.

IBRRS 2023, 0900

AG Berlin-Mitte, Urteil vom 15.03.2023 - 17 C 281/22
1. Sieht der Mietvertrag vor, dass eine Untervermietung der Zustimmung des Vermieters bedarf und und nicht mehr als drei Zimmer untervermietet werden dürfen, ist darin keine Gestattung der gewerblichen Untervermietung zu sehen.
2. Eine - auch nur teilweise - gewerbliche Untervermietung von Wohnraum mit einem jährlichen Gewinn in vierstelliger Höhe ist grob vertragswidrig und stellt - nach Abmahnung - einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung dar.
3. Stellt der Vermieter klar, dass allenfalls eine Untervermietung an drei Personen genehmigt werde, überlässt der Mieter die Mietsache mindestens einer Person als Dritten unbefugt, wenn er an vier Personen untervermietet.

IBRRS 2022, 3184

AG Pirmasens, Urteil vom 30.03.2022 - 2 C 127/21 WEG
1. Im Falle des § 9b Abs. 1 Satz 2 WEG ist jeder Wohnungseigentümer passiv einzelvertretungsberechtigt. Das gilt auch für Zustellungen im Prozess.
2. Wird mit der Einberufung einer Eigentümerversammlung gegen ein gesetzliches Verbot (hier: 18. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz) verstoßen, so sind auf der Versammlung gefasste Beschlüsse nichtig.
3. Die Entziehung von Wohnungseigentum ist nur unter engen Voraussetzungen als ultima ratio zulässig.

IBRRS 2023, 0923

OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.02.2023 - 26 Sch 11/22
Das schlichte Nichtabholen bei der Post zur Abholung bereitliegender Sendungen stellt im Anwendungsbereich des Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 noch keine treuwidrige Zugangsvereitelung dar.*)

IBRRS 2023, 0920

OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2022 - 8 W 416/22
1. Beruht das Nichterscheinen eines Zeugen, dem die Teilnahme an der Beweisaufnahme im Wege einer Videokonferenz gestattet worden war, auf einem Fehler im Umgang mit IT-Systemen, ist dieser Fehler ggf. nicht so gravierend, dass er ein Ordnungsgeld rechtfertigen würde.*)
2. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeführers werden als notwendige Auslagen nach § 19 JVEG ersetzt, die die später unterliegende Partei als Teil der Prozesskosten zu tragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12.06.2007, VI ZB 4/07, NJW-RR 2007, 1364 = IBRRS 2007, 3611 = IMRRS 2007, 1585).*)

IBRRS 2023, 0878

AG Donaueschingen, Urteil vom 27.01.2023 - 1 C 54/22
Die Zustellung eines Versäumnisurteils ist nicht deshalb unwirksam, weil der Zusteller auf dem Umschlag weder Datum noch Uhrzeit der Zustellung vermerkt. Dem Zustellungsadressaten obliegt es bei Zweifeln die Frist gegebenenfalls bei Gericht zu erfragen. Berechnet der Adressat die Frist anhand seiner Briefkastenleerung zu seinen Ungunsten falsch, begeht er ein Verschulden gegen sich selbst, weshalb auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.

Online seit gestern
IBRRS 2023, 0919
OLG Köln, Beschluss vom 05.12.2022 - 11 U 231/21
1. Ein FeCI3-Tanklager ist ein Ingenieurbauwerk. Zu den Ingenieurbauwerken gehören insbesondere auch Tankanlagen für die entsprechenden Stoffe.
2. Soweit in der HOAI 2013 für Vereinbarungen der Vertragsparteien Schriftform vorgeschrieben ist, muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Ein schriftliches Angebot und eine schriftliche Annahme auf unterschiedlichen Schriftstücken genügen dem Schriftformerfordernis nicht.
3. Die Berufung des Auftraggebers auf die Formunwirksamkeit einer Honorarvereinbarung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Architekt oder Ingenieur ein schriftliches Angebot macht und der Auftraggeber dies schriftlich bestätigt.

IBRRS 2023, 0880

VK Südbayern, Beschluss vom 08.02.2023 - 3194.Z3-3_01-22-42
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Angebot dann nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausschließen, wenn er im Rahmen der Prüfung der fachlichen Richtigkeit nachweisen kann, dass ein Angebot gegen die Vorgaben der Vergabeunterlagen verstößt.*)
2. Führt der öffentliche Auftraggeber eine Angebotsaufklärung durch, so hat er die von ihm als aufklärungsbedürftig erkannten Punkte klar und unmissverständlich dem Bieter mitzuteilen und konkrete Fragen zu stellen.*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber darf seine Beurteilung, ob ein Angebot hinsichtlich komplexer technischer und rechtlicher Fragen den Vergabeunterlagen entspricht nicht auf die Beurteilung externer Sachverständiger oder von Fachbehörden stützen, wenn diese ihrer Beurteilung ersichtlich nicht den vollständigen Sachverhalt oder alle relevanten Punkte zugrunde gelegt haben.*)
4. Bedient sich der öffentliche Auftraggeber bei der Überprüfung der fachlichen Richtigkeit des Sachverstandes von Dritten, so ist er verpflichtet, diesen die für die Überprüfung relevanten Umstände und Punkte umfassend mitzuteilen und die Antwort daraufhin zu überprüfen, ob auch alle essentiellen Fragen und Punkte gewürdigt wurden.*)
5. Entscheidet sich ein öffentlicher Auftraggeber einen Bieter auszuschließen so hat er zu dokumentieren, welche Aspekte er bei dieser Entscheidung berücksichtigt hat, welches Gewicht er ihnen zugemessen hat und was die tragenden Argumente für diese Entscheidung waren. Je komplexer die Prüfung des Ausschlussgrunds war, desto höhere Anforderungen werden auch an die Dokumentation der Entscheidung gestellt.*)

IBRRS 2023, 0915

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2023 - 7 B 128/23
Allein die formelle Illegalität der fraglichen Nutzung begründet in aller Regel ein erhebliches öffentliches Interesse an deren sofortiger Untersagung.

IBRRS 2023, 0893

LG Mannheim, Urteil vom 15.02.2023 - 4 O 109/22
1. Der Ausbau und die Erneuerung der gesamten Fensterfront sowie der Beleuchtung in der Decke der Mieträume stellt eine nicht unerhebliche Einwirkung auf die Mietsache dar, so dass der Kündigungsausschluss nach 555c Abs. 4 BGB nicht greift.
2. Für einen Kündigungsausschluss nach § 555c Abs. 4 BGB müssen beide der dort genannten Voraussetzungen (unerhebliche Einwirkung und unerhebliche Mieterhöhung) kumulativ gegeben sein.
3. Für das Sonderkündigungsrecht nach § 555e BGB kommt es nicht darauf an, ob der Mieter die Modernisierungsmaßnahmen sowieso dulden muss oder nicht.

IBRRS 2023, 0092

AG Bottrop, Urteil vom 13.10.2022 - 20 C 22/22
1. Ein Eigentümer hat Antennenkabel, die über Putz durch seinen Keller verlaufen und der TV-Versorgung eines anderen Eigentümers dienen, zu dulden, da sie den Eigentümer nur marginal belasten und gleichzeitig Interessen dienen, die im WEG-Recht besonderen Schutz genießen. Die Duldungspflicht folgt aus dem Gemeinschaftsverhältnis gem. § 242 BGB in Verbindung mit den Rechtsgedanken aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 WEG und Art. 5 GG.
2. Bauliche Maßnahmen, die eine Möglichkeit zum Empfang von Fernsehprogrammen schaffen, gehören zu den privilegierten Vorhaben des § 20 Abs. 2 WEG, auf die jeder Eigentümer einen Anspruch hat und die auf der anderen Seite Duldungspflichten begründen. § 20 Abs. 2 Nr. 4 WEG spricht zwar nur von einem "Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit hoher Kapazität". Hierunter fällt aber auch der Fernsehanschluss, weil auch durch das Fernsehen ein Informationsaustausch über eine räumliche Distanz vollzogen wird.

IBRRS 2023, 0922

OLG Dresden, Urteil vom 20.12.2022 - 4 U 492/22
1. Knüpfen die Versicherungsbedingungen in einer Betriebshaftpflichtversicherung den Versicherungsfall an den Eintritt eines Schadensereignisses, „als dessen Folge die Schädigung eines Dritten unmittelbar entstanden ist", ist das im Zeitpunkt der Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs geltende intertemporale Recht anzuwenden, wenn unklar ist, wann dieses Ereignis (hier: Feuchteschäden in einer Tiefgarage) genau eingetreten ist.*)
2. Wird dem Versicherungsnehmer im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens gegen einen Dritten der Streit verkündet, bemisst es sich nach den Umständen des Einzelfalls, ob hierin bereits die ernsthafte Geltendmachung eines Anspruchs liegt, die den Lauf der Verjährungsfrist auslöst (hier: bejaht).*)

IBRRS 2023, 0921

LG Darmstadt, Beschluss vom 16.12.2022 - 13 OH 101/16
Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn die Art und Weise der Abarbeitung des Gutachtenauftrags insbesondere angesichts der Dauer der Bearbeitung und des schlussendlich vorgelegten Ergebnisses objektiv schlechthin unvertretbar erscheint und subjektiv den Anschein einer auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung erwecken kann, wenn sich die verzögerte Bearbeitung so sehr von dem normalerweise üblichen Verfahren entfernt hat, dass diese den Schluss nahelegt, dem Sachverständigen sei das nachvollziehbare Interesse einer Partei an der Auseinandersetzung mit ihren Einwänden und einer zeitnahen Beendigung des Verfahrens gleichgültig.*)

IBRRS 2023, 0916

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 27.02.2023 - 5 W 15/23
Ein Ablehnungsgesuch kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn dessen Begründung ausnahmslos auf schon länger bekannte (vermeintliche) Verfahrensfehler abstellt und auch das weitere prozessuale Verhalten der Partei - hier: Anbringen des Gesuchs erst am Morgen des seit langem bestimmten Verhandlungstermins über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, keinerlei inhaltliche Förderung des Verfahrens und mehrfache, nach Aktenlage nicht nachvollziehbare Verweigerung der Entgegennahme von Zustellungen - auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Gesuchs schließen lässt.*)

IBRRS 2023, 0621

LG Berlin, Beschluss vom 15.02.2023 - 65 T 15/23
1. Der Gebührenstreitwert einer auf Feststellung der nach § 556d BGB höchst zulässigen Miete bei Mietbeginn gerichteten Klage bestimmt sich nach § 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO.
2. § 41 Abs. 5 Satz 1 GKG ist auf diesen Fall weder unmittelbar noch analog anwendbar.

Online seit 28. März
IBRRS 2023, 0909
OLG Hamm, Urteil vom 09.02.2023 - 24 U 77/21
1. Außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift des § 650b Abs. 2 BGB besteht vorbehaltlich einer diesbezüglichen vertraglichen Regelung, wie etwa in § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B, grundsätzlich kein einseitiges Änderungsrecht des Bestellers. Das dem Bauvertrag innewohnende antizipierte Änderungsbedürfnis des Bestellers kann dieser jedoch jedenfalls dann gem. §§ 157, 242 BGB durch eine einseitige Anordnung durchsetzen, wenn mit Blick auf Art und Umfang der begehrten Leistungsänderung berechtigte Interessen des Unternehmers und insbesondere sein Vergütungsanspruch nicht wesentlich berührt werden.*)
2. Die wirksame Ausübung einer solchen einseitigen Änderungsbefugnis hat gegebenenfalls, etwa wenn bei einem Pauschalpreisvertrag im Verhältnis zum ursprünglichen Bauentwurf höhere Massen erforderlich werden, eine Vergütungsanpassung zur Folge, wobei entsprechend der Regelung in § 650c BGB die tatsächlich erforderlichen Kosten zzgl. angemessener Aufschläge maßgeblich sind.*)
3. Ob der nach den allgemeinen Regeln vorleistungspflichtige Unternehmer die Leistungsaufnahme von der Zusage einer gegebenenfalls höheren Vergütung abhängig machen darf, ist nach § 242 BGB aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen gemäß der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, wobei insbesondere die zu erwartenden Erschwernisse für den Unternehmer, der Umfang der in Rede stehenden Vergütungserhöhung und unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips auch das wechselseitige Verhalten der Vertragspartner zu berücksichtigen sind.*)

IBRRS 2023, 0907

AG Rheine, Urteil vom 13.09.2022 - 10 C 191/21
1. Wichtige und durchaus vordergründige Aufgabe eines erfahrenen "Hochzeits"-Diskjockeys (DJ) ist es, für einen reibungslosen und harmonischen Ablauf und - soweit ihm möglich - für eine gute Stimmung unter allen Hochzeitsgästen Sorge zu tragen.
2. Ein DJ muss gewisse gestalterische Freiheiten haben, mit denen er sich in dem vorgegebenen Rahmen frei bewegen kann.
3. Gelingt es einem "Hochzeits"-DJ nicht, die Musikwünsche der Hochzeitgäste zu erfüllen und ist er auch nicht dazu in der Lage, ähnliche aus demselben Genre stammende Musikwünsche zu realisieren, was unter den Hochzeitsgästen zu spürbarem Unmut führt, ist seine Werkleitung mangelhaft, was zu einer Reduzierung seines Werklohnanspruchs führt.

IBRRS 2023, 0879

VK Südbayern, Beschluss vom 12.12.2022 - 3194.Z3-3_01-22-33
1. Gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn "andere schwerwiegende Gründe" bestehen. Ein derartiger schwerwiegender Grund kann vorliegen, wenn selbst das niedrigste wertungsfähige Angebot höher liegt als die verfügbaren Mittel.*)
2. Ein schwerwiegender Grund ist nicht gegeben, wenn der Auftraggeber den Finanzbedarf zu gering bemessen hat. Zudem darf der Aufhebungsgrund dem Auftraggeber nicht zurechenbar bzw. dessen Vorliegen vom Auftraggeber selbst zu verantworten sein.*)
3. Steht fest, dass die Kostenschätzung mit den Marktpreisen aufgrund deren extremer Entwicklung u. a. wegen des Ukraine-Kriegs nicht konform war, ist eine Aktualisierung der Kostenschätzung nicht deshalb entbehrlich, weil Stoffpreisgleitklauseln in die Vergabeunterlagen aufgenommen wurden, die die stoffgebundenen Preissteigerungen abfedern sollten, wenn diese lediglich Preissteigerungen erfassen, die sich zwischen Submissionstermin und Abrechnungszeitpunkt ergeben, nicht jedoch solche, die vor Angebotsabgabe eingetreten sind.*)

IBRRS 2023, 0908

VGH Bayern, Beschluss vom 10.03.2023 - 15 ZB 22.2583
1. Eine Baugenehmigung muss hinreichend bestimmt sein. Sie muss das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können.
2. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommene Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind.
3. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen.
4. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und/oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann.
5. Ein Nachbar kann eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit (nur) geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht.

IBRRS 2023, 0902

LG Berlin, Urteil vom 02.03.2023 - 67 S 215/22
Der Ausschlusstatbestand des § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB ist nicht eröffnet, wenn die dem Mieter vor dessen Abgabe der Vertragserklärung in Textform erteilte Auskunft des Vermieters nach § 556g Abs. 1a Satz 1 BGB inhaltlich unzutreffend gewesen ist (hier: unrichtige Höhe der geschuldeten Vormiete).*)

IBRRS 2023, 0787

AG Schwandorf, Urteil vom 08.08.2022 - 2 C 216/22
1. Eine rechtzeitige Schonfristzahlung führt auch zu der Unwirksamkeit einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
2. Wenn in § 569 Abs. 3 Nr. 3 BGB außerordentliche Kündigungen explizit herausgestellt werden, in § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB aber nur von "Kündigung" die Rede ist, dann sind in § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB auch ordentliche Kündigungen gemeint.
3. Allein ein Zahlungsverzug in Höhe von mehr als einer Monatsmiete rechtfertigt keine ordentliche Kündigung. Erforderlich ist darüber hinaus, dass es sich um eine schuldhafte, nicht unerhebliche Pflichtverletzung handelt, die ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses zu begründen geeignet ist (hier verneint).

IBRRS 2023, 0910

OLG Zweibrücken, Urteil vom 12.05.2022 - 4 U 40/18
Zur Auslegung des materiell-rechtlichen Inhalts und zu der Bedeutung und Tragweite eines im Prozess über die Haftung für Sachmängel an einem Hausanwesen abgeschlossenen „Zwischenvergleichs“, in welchem sich die verklagte Verkäuferin gegenüber dem klagenden Käufer zur Einholung einer etwa erforderlichen Baugenehmigung verpflichtet hat.*)

IBRRS 2023, 0854

OLG Rostock, Beschluss vom 16.03.2022 - 3 W 76/21
1. Bei der Eintragung einer Zwangssicherungshypothek sind Zinsen und andere Nebenforderungen stets nur so einzutragen, wie sie tituliert sind.*)
2. Es ist nicht zulässig, als Nebenforderung titulierte Zinsen oder Säumniszuschläge kapitalisiert als Hauptforderung bzw. unter Hinzurechnung zu der Hauptforderung einzutragen.*)
3. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn die Hauptforderung erloschen ist und nur noch Nebenforderungen offen sind.*)

IBRRS 2023, 0885

VG Sigmaringen, Beschluss vom 07.03.2023 - 8 K 268/23
Für die einfache Signatur i.S.d. § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO reicht die Angabe des Wortes "Rechtsanwalt" am Ende des Textes nicht aus. Dies gilt auch, wenn im Briefkopf der Kanzlei nur eine einzelne Person als Rechtsanwalt ausgewiesen ist.*)

IBRRS 2023, 0074

BGH, Beschluss vom 14.12.2022 - VII ZR 271/19
1. Das Gericht ist verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dazu gehört es, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - zu bescheiden.
2. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben.
3. Zur Schlüssigkeit der Höhe eines Vergütungsanspruchs für geänderte Leistungen aus § 2 Abs. 5 VOB/B.

IBRRS 2023, 0542

LG Berlin, Beschluss vom 20.12.2022 - 67 T 77/22
Der Gebührenstreitwert einer auf die Feststellung der preisrechtlich zulässigen Miete gerichteten Klage bemisst sich auch im Falle einer nach dem 31.12.2020 erfolgten Klageerhebung nach dem 3-1/2-fachen Jahresbetrag des zwischen den Mietvertragsparteien streitigen Differenzbetrags.*)

Online seit 27. März
IBRRS 2023, 0892
OLG Brandenburg, Urteil vom 02.03.2023 - 12 U 78/22
1. Allein die Verletzung von Organisationspflichten reicht nicht aus, den Auftragnehmer mit demjenigen gleichzustellen, der einen Mangel arglistig verschweigt.
2. Erforderlich ist, dass dem Auftragnehmer aufgrund des Organisationsfehlers der Vorwurf gemacht werden kann, er habe durch fehlerhafte Organisation die Arglisthaftung vermeiden wollen.
3. Wird mit der Planung und Baubegleitung ein Architekt und während der Bauausführung auch ein Bauingenieur als Bauleiter beauftragt, bestehen für eine fehlerhafte Organisation keine Anhaltspunkte.

IBRRS 2023, 0882

VK Rheinland, Beschluss vom 29.03.2022 - VK 8/22
1. Das für einen Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB notwendige Rechtsschutzbedürfnis erfordert eine bereits erfolgte Vorabmitteilung gem. § 134 GWB.*)
2. Einem Antrag auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags ist nur dann zu folgen, wenn das Interesse der Vergabestelle und der Allgemeinheit an der vorzeitigen Zuschlagsgestattung von besonderem Gewicht ist. Allein die durch das Verfahren vor der Vergabekammer naturgemäß entstehende zeitliche Verzögerung kann es nie rechtfertigen, vorab den Zuschlag zu gestatten, weil sonst das gesamte Nachprüfungsverfahren ad absurdum geführt würde. Im Falle einer "knappen Planung" muss der Auftraggeber auch die sich aus der Verzögerung ergebenden finanziellen Nachteile hinnehmen, es sei denn, es handelt sich um eine außergewöhnlich hohe finanzielle Belastung.*)
3. Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung wegen fehlender Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags kommt nur in Betracht, wenn die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit auf der Hand liegt.*)
4. Es ist Aufgabe des Auftraggebers, dezidiert darzulegen, weshalb mit der Erteilung des Zuschlags nicht bis zu einer Entscheidung der Vergabekammer in der Hauptsache abgewartet werden kann. Ohne hinreichende substantiierte Begründung hat die Vergabekammer keine Grundlage, über die endgültige Vernichtung des Primärrechtsschutzes zu entscheiden.*)

IBRRS 2023, 0883

OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2023 - 16 U 2/18
1. Die Umlegung gem. § 45 BauGB ist ein Instrument zur Umsetzung der Bauleitplanung. Sie dient nicht dazu, diese zu ersetzen.*)
2. Die Umlegung innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 BauGB gem. § 45 Satz 2 Nr. 2 BauGB ist im Regelfall nur in einfach gelagerten Fällen statthaft, in denen die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans unnötiger Aufwand wäre. Die Norm gestattet die Umlegung nur für solche Grundstücksflächen, auf denen eine wirtschaftlich zweckmäßige oder bauordnungsrechtlich zulässige Bebauung wegen der vorhandenen Grundstücksstruktur nicht möglich ist und die Maßstäbe für die Umlegung aus einer baulich klaren Strukturierung im Sinne eines Planersatzes ermittelt werden können.*)
2. Für die Frage, ob eine baulich klare Strukturierung vorliegt, ist nicht nur auf die Bebauung abzustellen, die städtebaulich wünschenswert oder vertretbar erscheint. Nur singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen, sind regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden (Anschluss an BVerwG, IBR 2007, 336).*)

IBRRS 2023, 0813

OLG Hamburg, Urteil vom 09.03.2023 - 4 U 59/22
1. Es reicht für ein wirksames Zustandekommen eines Mietvorvertrags aus, wenn sich die Parteien darüber einig sind, dass dem Mietinteressenten das Mietobjekt überlassen werden soll und außerdem Klarheit über die wesentlichen Mietbedingungen besteht, d. h. über Mietobjekt, Mietdauer und Entgeltlichkeit.
2. Der Mietvorvertrag kann auch mündlich geschlossen werden, solange ein Rechtsbindungswille eindeutig festgestellt werden kann.
3. Eine nachträgliche Genehmigung der rechtsgeschäftlichen Erklärungen einzelner Vorstandsmitglieder ist auch im Bereich des Genossenschaftsrechts ohne Weiteres möglich.
4. Ein Rücktrittsrecht vom Mietvorvertrag besteht, wenn infolge des Verhaltens der Gegenpartei die Vertrauensgrundlage für die weiteren auf Abschluss des Hauptvertrags gerichteten Verhandlungen erschüttert wird. Von einer solchen Erschütterung der Vertrauensgrundlage kann nur unter strengen Voraussetzungen ausgegangen werden.
5. Dies ist zu bejahen, wenn eine Partei plötzlich sämtliche Punkte, auch die bereits geklärten, wieder zur Disposition stellt, und dies einen Tag vor einem abgestimmten Termin, an dem die letzten Unklarheiten hätten beseitigt werden sollen.

IBRRS 2023, 0819

LG München I, Beschluss vom 15.11.2022 - 36 S 5288/22 WEG
1. Voraussetzung für eine Interessenkollision ist, dass der Rechtsanwalt eine andere Partei in derselben Rechtssache schon einmal in entgegengesetztem Interesse beraten oder vertreten hat bzw. sie weiterhin berät oder vertritt.
2. Vertritt der Rechtsanwalt immer nur die Wohnungseigentümergemeinschaft, liegt keine Interessenkollision vor. Allein die Tatsache, dass in einer Eigentümergemeinschaft die Interessenlagen häufig - wenn nicht gar typisch - unterschiedlich gelagert sind, führt nicht zu einer Interessenkollision.
3. Die maßgeblichen Anknüpfungskriterien für die Frage des Eingreifens eines Stimmverbots sind formal zu bestimmen.

IBRRS 2023, 0884

OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.03.2023 - 12 U 165/22
Die Entfernung von Bäumen, die unter Missachtung des Grenzabstands gem. § 16 des baden-württembergischen Nachbarrechtsgesetzes (NRG-BW) zu nahe an der Grenze gepflanzt wurden, kann allein zur Abwehr der von ihnen verursachten Immissionen (Nadeln, Zapfen) nach Verjährung des nachbarrechtlichen Beseitigungsanspruchs (§ 26 NRG-BW) grundsätzlich auch nicht mehr gemäß § 1004 BGB oder aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses verlangt werden.*)

IBRRS 2023, 0832

OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.10.2021 - 20 W 191/21
Das Grundbuchamt hat im Rahmen des § 20 GBO das der Auflassung zu Grunde liegende schuldrechtliche Grundgeschäft nicht zu überprüfen. Von daher darf das Grundbuchamt im Regelfall die Eigentumsumschreibung nicht deshalb ablehnen, weil die Auflassung nicht mit dem schuldrechtlichen Grundgeschäft übereinstimmt. Das Grundbuchamt hat mithin bei dem Vollzug einer Auflassung im Grundbuch auch eine im Rahmen des Kaufvertrags etwa zugesicherte Lastenfreiheit nicht zu prüfen.*)

IBRRS 2023, 0886

LG Berlin, Urteil vom 17.01.2023 - 22 O 37/21
Zum Beweis einer Zahlung (einer Versicherungsleistung an den Versicherungsnehmer) ist die Einreichung eines Kontoauszugs erforderlich und der bloße Zeugenbeweis untauglich - jedenfalls dann, wenn die Zahlung durch Überweisung von einem Konto erfolgt ist und ein Kontoauszug problemlos von der kontoführenden Bank erhältlich ist.*)

IBRRS 2023, 0890

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.11.2022 - 2 W 21/22
1. Sachverständige erhalten als Vergütung ein Honorar für ihre Leistungen. Hierzu gehören grundsätzlich noch nicht Aufwände zur Prüfung, ob er zu ihrer Erbringung überhaupt in der Lage ist oder ob mögliche Ablehnungsgründe bestehen können.
2. Eine Ausnahme wird für den Fall anerkannt, dass ein Sachverständiger sich für diese Prüfung intensiv mit den Gerichtsakten beschäftigt und dafür erhebliche Zeit aufwendet; die Grenze wird hier bei einer Stunde gesehen.
3. Die für die Vorprüfung nach aufgewandte Zeit kann jedenfalls nur dann ein erstattungsfähiges Honorar des Sachverständigen begründen, wenn sie „erforderlich“ war. Daran fehlt es, wenn schon aus dem Beweisbeschluss oder der Klageschrift ohne Schwierigkeiten erkennbar ist, dass die Beweisfrage außerhalb seines Fachgebietes liegt.

IBRRS 2023, 0896

AGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02.2022 - 1 AGH 8/21
1. Die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung kann widerrufen werden, wenn der Fortbildungsnachweis nicht geführt wird. Ist die Teilnahme an einem Online-Seminar möglich gewesen, kann der Ausfall von Präsenzveranstaltungen im jeweiligen Fachgebiet aufgrund der Corona-Pandemie die Säumnis nicht entschuldigen.
2. Fehlende Kenntnisse zur Handhabung eines Online-Seminars gelten nicht als Entschuldigungsgrund.
3. Ob Anwältinnen und Anwälte ihrer Fortbildungspflicht genügt haben, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres fest. Ist ein Jahr ohne Fortbildung verstrichen, können sie sich in diesem Jahr nicht mehr fortbilden. Die Nachholung versäumter Fortbildungsstunden im Folgejahr ist nicht möglich.

IBRRS 2023, 0891

OLG Bamberg, Beschluss vom 20.03.2023 - 2 W 13/23
1. Zur Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Ausbleiben eines geladenen Zeugen im Termin trotz Vorlage eines ärztlichen Attestes mit Bescheinigung einer Reiseunfähigkeit.*)
2. Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen, erfordert, dass das Gericht aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage einer etwaigen Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann.*)
3. Die Diagnose einer „chronischen Erkrankung“ ist vollkommen unbestimmt und hierfür nicht geeignet.*)
4. Die attestierte Angabe, dass der Patient „nicht lange sitzen“ könne, kann eine Reiseunfähigkeit bei geplanter Anreise mit der Bahn nicht begründen, zumal wenn der Zeuge fortwährend mit zeitaufwändigen Notariatsvertretungen betraut ist und diese auch wahrnimmt.*)
5. Die Anordnung der persönlichen Zeugeneinvernahme nach einer vorausgegangenen schriftlichen Aussage steht im Ermessen des Gerichts und ist vom Beschwerdegericht im Ordnungsgeldverfahren nicht zu überprüfen.*)

IBRRS 2023, 0895

LG Karlsruhe, Beschluss vom 17.03.2023 - 11 T 59/23
1. Der Streitwert einer Klage auf Zustimmung der Änderung der Teilungserklärung dahingehend, dass die Teileigentumseinheit des Klägers auch zu Wohnzwecken genutzt werden darf, bestimmt sich nach dem Angreiferinteresse und berechnet sich nach § 9 Satz 1 ZPO nach dem dreieinhalbfachen Wert der jährlichen Mieteinnahmen bei einer Nutzung als Wohnung.
2. Der Streitwert ist im Hinblick auf das Additionsverbot nicht mit der Anzahl der Beklagten zu multiplizieren.

Online seit 24. März
IBRRS 2023, 0868
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 28.12.2021 - 2-20 O 51/21
1. Ein Generalunternehmer ist nach § 138 Abs. 1, 2 ZPO dazu angehalten, sich über Umstände, die seinen Nachunternehmer betreffen, bei diesem zu informieren (hier: Aussagen zur Möglichkeit von Mängelbeseitigungsmaßnahmen) und entsprechend vorzutragen.*)
2. Als Protokollmängel können auch solche Mängel zu bewerten sein, die in einem privaten Sachverständigengutachten bei der Begehung festgehalten werden, wenn die Parteien sich zumindest konkludent wechselseitig auf dieses Gutachten beziehen und es als Argument für die Mangelhaftigkeit / Mangelfreiheit des Werkes anführen. Eine ausdrückliche Bezeichnung des Gutachtens als Abnahmeprotokoll oder Mängelprotokoll bedarf es nicht. Wenn die Parteien das Vorliegen bestimmter Mängel zusammen festgestellt haben (insbesondere schriftlich festgehalten haben), entspricht es regelmäßig dem Willen der Parteien, dass eine etwaige Fälligkeit der (Abschluss-)Raten an die Beseitigung dieser zusammen festgestellten Mängel geknüpft ist.*)
3. Der Bundesgesetzgeber hat in BT-Drs. 18/8486 (Seite 49) den Streitstand zum Verständnis des Begriffs der vollständigen Fertigstellung aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 MaBV nicht aufgelöst.*)
4. Beantragt die Klägerin die Feststellung der Abnahmewirkungen zu einem bestimmten, konkret mitgeteilten, Zeitpunkt, ist ein "Weniger" in das Begehren nicht hineinzulesen (und das Begehren insoweit auszulegen), dass zumindest zu einem späteren Zeitpunkt - der späteste Zeitpunkt wäre der Schluss der mündlichen Verhandlung - die Feststellung der Abnahmewirkungen begehrt wird.*)

IBRRS 2023, 0875

VK Rheinland, Beschluss vom 12.05.2022 - VK 51/21
1. Eine Antragsbefugnis wegen einer fehlerhaften Vorabinformation gem. § 134 GWB entfällt regelmäßig, wenn der Antragsteller fristgerecht einen Nachprüfungsantrag stellen konnte. In diesem Fall ist ein Schaden in der Regel nicht denkbar, da der Inhalt der Vorabinformation keine Auswirkungen auf die Zuschlagschancen eines Bieters hat und der Zweck der Vorabinformation mit der rechtzeitigen Antragstellung erfüllt ist.*)
2. Enthält eine Bewertungsmatrix für eine Konzeptbewertung alle Angaben dazu, was die einzelnen Konzepte beinhalten sollen und welcher Inhalt zu welcher Bewertung führt, müssen Unklarheiten im Zusammenhang mit den Angaben der Bewertungsmatrix bei Anwendung der üblichen Sorgfalt bereits bei der Angebotserstellung auffallen und daher auch bis zur Angebotsabgabe gerügt werden. Erfolgt die Rüge nach Ablauf der Angebotsfrist tritt Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ein.*)
3. Der öffentliche Auftraggeber erteilt den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot auf der Grundlage einer Bewertung anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien. Für den öffentlichen Auftraggeber besteht ein von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Keinesfalls darf die Vergabekammer die Wertung des öffentlichen Auftraggebers durch eine eigene Wertung ersetzen.*)
4. Nutzt der öffentliche Auftraggeber für eine Konzeptbewertung ein abstraktes Wertungssystem, steht es einer vergaberechtskonformen Auftragsvergabe nicht entgegen, wenn der Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl abhängen soll.*)
5. Einem abstrakten Wertungssystem ist eine gewisse Unschärfe immanent, die im Einzelfall, je nach Bewerter, unterschiedliche „Noten“ als richtig erscheinen lassen und bei deren Bewertung subjektive Komponenten im Sinne von Einschätzungen eine wesentliche Rolle spielen.*)

IBRRS 2023, 0877

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.03.2023 - 2 A 2659/20
1. Ein isoliertes nachbarliches Abwehrrecht auf Einhaltung einer bestimmten Geländeoberfläche als solches gibt es nicht. Vielmehr kann ein nachbarliches Abwehrrecht sich grundsätzlich allein aus einer Verletzung konkreter nachbarschützender Vorschriften des Abstandsflächenrechts – etwa durch Veränderungen der Geländeoberfläche, die einen Verstoß gegen abstandsrechtliche Bestimmungen zur Folge haben, ergeben.
2. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten wegen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften kann verwirkt sein.
3. Für eine Verwirkung kommt es darauf an, ob der Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend macht, obwohl er hierfür Anlass hat, und ob sein Verhalten geeignet ist, bei dem Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr) ausüben.
4. Die Verwirkung eines Rechts setzt außer der Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums (sog. Zeitmoment) ferner voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment).
5. Was die längere Zeit anbetrifft, während der ein Recht nicht ausgeübt worden ist, obwohl dies dem Berechtigten möglich gewesen wäre, lassen sich grundsätzlich keine allgemeingültigen Bemessungskriterien nennen.

IBRRS 2023, 0817

LG Hamburg, Urteil vom 31.03.2022 - 333 S 16/21
1. Der Mieter eines beendeten Mietverhältnisses kann die Nebenkostenvorauszahlung, über die der Vermieter nicht fristgemäß abgerechnet hat, ohne den zeitraubenden Umweg über eine (Stufen-)Klage auf Erteilung der Abrechnung sogleich zurückverlangen, wenn er während der Dauer des Mietverhältnisses nicht die Möglichkeit hatte, den Abrechnungsanspruch durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts an den laufenden Vorauszahlungen durchzusetzen.
2. Es obliegt dem Vermieter sich die für die Abrechnung erforderlichen Unterlagen und Daten so rechtzeitig zu beschaffen, dass er die Abrechnungsfrist einhalten kann; andernfalls hat er das Fristversäumnis zu vertreten.
3. Durch die Leistung der Kaution erwirbt der Mieter einen aufschiebend bedingten Rückgewähranspruch, dessen Bedingung mit Rückgabe der Mietsache eintritt und fällig wird, wenn eine angemessene Überlegungsfrist abgelaufen und dem Vermieter keine Forderungen aus dem Mietverhältnis mehr zustehen.
4. Die Überlegungsfrist ist - ohne Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer längeren Frist - regelmäßig sechs Monate nach Rückgabe der Wohnung abgelaufen.
5. Die Kaution soll dem Vermieter für seine Ansprüche aus dem Mietverhältnis eine Sicherheit geben, aber nicht für die Ansprüche, die ihren Ursprung außerhalb des Mietverhältnisses haben.

IBRRS 2023, 0856

BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 28/22
1. Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB kommt nur dem Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu dieser Bestimmung unverändert verwendet und richtig ausfüllt.*)
2. Der Unternehmer kann seine Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt. In einem solchen Fall trägt der Unternehmer allerdings das Risiko, dass seine Information den allgemeinen Anforderungen an eine umfassende, unmissverständliche und nach dem Verständnis eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers eindeutige Belehrung genügt.*)

IBRRS 2023, 0855

KG, Beschluss vom 11.10.2022 - 1 W 268/22
Ist nach den Feststellungen des Nachlassgerichts ein von ihm ausgestelltes Testamentsvollstreckerzeugnis unrichtig geworden, weil nach Erledigung von dem Erblasser dem Testamentsvollstrecker übertragener Aufgaben nur noch eine überwachende Testamentsvollstreckung verbleibt, kann der Beschluss, mit dem das Testamentsvollstreckerzeugnis eingezogen wird, ein geeigneter Nachweis dafür sein, dass der Erbe in der Verwaltung und Verfügung über ein Grundstück durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht beschränkt wird. Bei der Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung des Erben ist dann nicht zugleich ein Testamentsvollstreckervermerk einzutragen.*)

IBRRS 2023, 0876

OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2023 - 2 W 3/23
1. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die einem Nebenintervenienten zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren gem. § 89a Abs. 3 GWB ist mit der Beschwerde anfechtbar.*)
2. Die formlose Bekanntgabe eines Beschlusses zur Festsetzung des Gegenstandswertes gem. § 33 Abs. 1 RVG setzt die Beschwerdefrist nicht in Gang.*)
3. Wirkt § 89a Abs. 3 Satz 2 GWB bei der Festsetzung der Gegenstandswerte der Nebeninterventionen begrenzend, muss die Summe der festgesetzten Gegenstandswerte den gesetzlich zulässigen Höchstwert auch tatsächlich erreichen.*)

Online seit 23. März
IBRRS 2023, 0866
OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2023 - 5 U 227/21
1. Die Planungsleistung eines Ingenieurs hat den anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen, sofern die Vertragsparteien keine abweichende Vereinbarung getroffen haben.
2. Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen, sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.
3. Anerkannte Regeln der Technik können in DIN-Normen niedergelegt sein, wobei aber DIN-Normen insbesondere nicht als Rechtnormen zu qualifizieren sind, sondern lediglich als private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter.
4. Die DIN 18015-2 (Elektrische Anlagen in Wohngebäuden - Teil 2: Art und Umfang der Mindestausstattung) ist ihrem Regelungsgehalt nach nicht geeignet, die Vermutungswirkung, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein, für sich in Anspruch zu nehmen.

IBRRS 2023, 0867

VK Bund, Beschluss vom 16.12.2022 - VK 1-99/22
1. Einem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Wertung der Angebote ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt überprüft werden kann. Darüber hinaus muss er die Bieter vor Angebotsabgabe grundsätzlich nicht im Einzelnen (z.B. mithilfe eines Wertungsleitfadens) darüber informieren, welchen Aspekt oder Umstand er z.B. mit wie vielen Wertungspunkten "belohnen" wird.
2. Teilt der Auftraggeber den Bietern nicht hinreichend eindeutig genug mit, auf was sich seine Wertungsentscheidung stützen wird (Präsentation, Konzept, sonstige schriftliche Darlegungen der Bieter oder ähnliches), verletzt er die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter. Einen solchen Vergaberechtsverstoß darf die Vergabekammer von Amts wegen aufgreifen.

IBRRS 2023, 0863

VGH Hessen, Beschluss vom 15.02.2023 - 3 B 2259/21
1. Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig.
2. Unter einer faktischen Duldung versteht man, dass die Behörde einen illegalen Zustand über einen längeren Zeitraum hinnimmt. Die faktische Duldung vermag grundsätzlich keinen Vertrauenstatbestand des Ordnungspflichtigen zu begründen, der illegale Zustand werde auch künftig hingenommen werden. Das Vertrauen, dass ein rechtswidriger Zustand aufgrund langjähriger Duldung aufrechterhalten wird, ist weder schutzwürdig noch geschützt. Bei einer faktischen Duldung ist ein späteres bauaufsichtliches Einschreiten daher zulässig.
3. Aus einer sog. aktiven Duldung kann sich hingegen ein - einem bauaufsichtlichen Einschreiten entgegenstehender - Vertrauenstatbestand ergeben. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer solchen aktiven Duldung, bei der die Behörde an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert ist, muss den entsprechenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls über welchen Zeitraum die Duldung des illegalen Zustands erfolgen soll.
