Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.

Aktuelle Urteile zum Zivilprozess & Schiedswesen
Online seit heute
IBRRS 2022, 1575
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 07.12.2021 - 18 K 3240/20
1. Zwar ist im Verwaltungsverfahren eine Klagebegründung nicht zwingend erforderlich, so dass ihr Fehlen allein noch keinen Anlass für eine Betreibensaufforderung bietet. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Kläger selbst eine Klagebegründung ankündigt und das Gericht daraufhin eine Frist zur Klagebegründung setzt.*)
2. Bei der Frist des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt allerdings entsprechend des Rechtsgedankens der § 58 Abs. 2, § 60 Abs. 3 VwGO nicht für Fälle, in denen die Betreibensfrist aufgrund höherer Gewalt versäumt wurde.*)
3. Ein Fall höherer Gewalt liegt vor, wenn ein Ereignis eintritt, das unter den gegebenen Umständen auch durch die größte nach den Umständen des gegebenen Falls vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - also unter Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung und Bildung - zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Bei der Konkretisierung der größten vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt ist die Bedeutung der Fristwahrung für den Betroffenen in Rechnung zu stellen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je weiter eine Frist ausgenutzt wird.*)
4. Bei der Nutzung der elektronischen Versendung von Schriftsätzen gem. § 55a VwGO trägt das Risiko des Zugangs grundsätzlich der Absender. Dabei hat dieser auch den Zeitbedarf zwischen der Absendung des elektronischen Dokuments und der Aufzeichnung auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung zu bedenken.*)
5. Ein Absender von Schriftsätzen über das besondere elektronische Anwaltspostfach handelt nur dann nach der größten vernünftigerweise von ihm zu erwartenden Sorgfalt, wenn er einen ausreichend großen zeitlichen Sicherheitszuschlag bis zum Fristablauf sicherstellt. Dieser Sicherheitszuschlag muss so bemessen sein, dass er möglichen Störungen des Übertragungswegs Rechnung trägt und gegebenenfalls auch Wiederholungen des Übertragungsversuchs ermöglicht (hier: Verneinung der von einem Rechtsanwalt zu erwartenden und zumutbaren Sorgfalt in einem Fall, in dem dieser den zur Fristwahrung erforderlichen Schriftsatz per besonderem elektronischen Anwaltspostfach lediglich eine Minute und 10 Sekunden vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 92 Abs. 2 VwGO versendet).*)

IBRRS 2022, 1558

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.04.2022 - 5 KS 4/22
Bei offenem Ausgang ist das jeweils hälftige Prozessrisiko der Hauptbeteiligten hinsichtlich der Gerichtskosten gem. § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO auf den Beklagten und die Beigeladene zu verteilen (je 1/4).*)

Online seit gestern
IBRRS 2022, 1530
LG Hannover, Urteil vom 07.03.2022 - 12 O 98/21
1. Der Aufwendungsersatz des Bürgen umfasst auch die ihm im Inanspruchnahmeprozess entstandenen und von ihm zu tragenden Prozesskosten.
2. Der Hauptschuldner und sein Rückbürge können, wenn ihnen im Inanspruchnahmeprozess der Streit verkündet wurde und sie dem Rechtsstreit beigetreten sind, dem Aufwendungsersatzanspruch nicht entgegenhalten, dass der Bürge den Prozess mangelhaft geführt habe.
3. Fälligkeit des Aufwendungsersatzanspruchs des Bürgen gegen den Rückbürgen tritt erst mit Tätigung der Aufwendung ein.

IBRRS 2022, 1547

OVG Saarland, Beschluss vom 02.05.2022 - 2 B 69/22
1. Die Annahme einer Verletzung der Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme des Beteiligtenvorbringens ist nicht schon dann gerechtfertigt, wenn in der angefochtenen Entscheidung auf einen bestimmten Sachvortrag der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Das Gericht ist weder nach Art. 103 Abs. 1 GG noch nach einfachem Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit des Vorbringens zu befassen. Es genügt vielmehr die Angabe der Gründe, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind.*)
2. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar und dient auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder Ergänzung derselben zu veranlassen.*)
3. Auf das Vorbringen, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, kann eine Anhörungsrüge nicht gestützt werden, da es sich hierbei um Fragen der tatrichterlichen Würdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und damit der materiellen Richtigkeit der Entscheidung handelt.*)

Online seit 18. Mai
IBRRS 2022, 1541
BGH, Beschluss vom 30.03.2022 - XII ZB 311/21
Die Einreichung eines elektronischen Dokuments bei Gericht ist nur dann formgerecht, wenn es entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist oder von der verantwortenden Person selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird. Nicht ausreichend ist die Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Zusammenhang mit einer nicht persönlich vorgenommenen Übermittlung (im Anschluss an BAGE 171, 28 = FamRZ 2020, 1850).*)

IBRRS 2022, 1556

BGH, Beschluss vom 24.03.2022 - V ZR 149/21
Der Streitwert für wohnungseigentumsrechtliche Beschlussklagen entspricht in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels maßgeblichen Beschwer; das gilt auch für einen gem § 49 GKG in der seit dem 01.12.2020 geltenden Fassung festgesetzten Streitwert.*)

Online seit 17. Mai
IBRRS 2022, 1544
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.04.2022 - 6 W 39/21
Die einem Rechtsanwalt ohne Verschulden gebotene Erkenntnis, dass die Statthaftigkeit der beabsichtigten sofortigen Beschwerde zweifelhaft ist, weil sie von obergerichtlicher Rechtsprechung zu Gunsten der Statthaftigkeit der Berufung in Abrede gestellt wird, muss diesen dazu veranlassen, das Rechtsmittel innerhalb von zwei Wochen (auch) beim Rechtsmittelgericht einzulegen, um sicher zu gehen, dass es – ob als sofortige Beschwerde oder als Berufung (ggf. nach Umdeutung) – die Frist wahrt.*)

IBRRS 2022, 1538

BGH, Urteil vom 27.04.2022 - IV ZR 344/20
Zur Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage, die der vom Rechtsschutzversicherer aus gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangenem Recht in Anspruch genommene Rechtsanwalt im Wege der isolierten Drittwiderklage gegen den Versicherungsnehmer erhebt.*)

Online seit 16. Mai
IBRRS 2022, 1522
OLG Braunschweig, Urteil vom 03.05.2022 - 4 U 582/21
1. Bei der Rückabwicklung eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags ist ein einheitlicher Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers gem. § 29 ZPO nicht begründet. Vielmehr verbleibt es bei der separaten Zuständigkeitsbestimmung für jeden einzelnen Antrag.*)
2. Hat das Gericht erster Instanz seine Zuständigkeit zu Recht verneint, kann der Kläger noch im Berufungsverfahren hilfsweise die Verweisung an das zuständige Gericht erster Instanz beantragen. Auf den Antrag ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des rechtsfehlerfrei ergangenen klageabweisenden Urteils an das sachlich und örtlich zuständige Gericht erster Instanz zu verweisen. Diese Verweisung erfolgt in der Rechtsmittelinstanz durch Urteil unter gleichzeitiger Aufhebung des Urteils der Vorinstanz.*)

Online seit 13. Mai
IBRRS 2022, 1480
OLG Rostock, Beschluss vom 02.02.2022 - 2 W 15/21
1. Die Wertangabe, die der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung tätigt, hat indizielles Gewicht für die Streitwertfestsetzung.
2. Die Indizwirkung fällt in der Tendenz schwächer aus, wenn die beklagte Partei dem Wert von vornherein entgegentritt, also zu einem Zeitpunkt, in dem sich belastbare Prognosen zum Prozessausgang regelmäßig noch nicht anstellen lassen.
2. Parteiseitig geäußerte Wertvorstellungen entfalten jedoch keine Bindungswirkung für das Gericht. Jedenfalls die einseitig gebliebene Wertvorstellung (nur) des Klägers entbindet das Gericht nicht von einer eigenständigen Prüfung anhand der vorgetragenen Tatsachen.

Online seit 12. Mai
IBRRS 2022, 1432
OLG Dresden, Urteil vom 16.06.2021 - 5 U 9/21
Sind als Voraussetzung für das Recht zur außerordentlichen Kündigung neben der Generalklausel eines "wichtigen Grundes" auch benannte Regelbeispiele vereinbart, in denen der "wichtige Grund" gegeben sein soll, ist bei der Auslegung der Generalklausel zu beachten, dass den unter diese fallenden, nicht näher bestimmten Kündigungsgründen ein ähnliches Gewicht zukommen muss wie näher beschriebenen Regelbeispielen.*)

IBRRS 2022, 1477

OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.05.2022 - 1 LB 4/22
Ist eine Klage abschließend begründet und entscheidungsreif, rechtfertigt es grundsätzlich nicht den Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses und damit den Erlass einer Betreibensaufforderung gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn der Kläger auf eine gerichtliche Aufforderung, einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt schriftsätzlich zu vertiefen, (wiederholt) nicht reagiert.*)

IBRRS 2022, 1479

OVG Niedersachsen, Beschluss vom 05.04.2022 - 7 KS 41/13
Auslagen für die Bereitstellung von Räumen für eine außerhäusige Sitzung am Ort des Gerichts stellen keine Auslagen im Sinne von KV-Nr. 9006 Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG dar, wenn ursächlich für die Raumanmietung die Vorgabe ist, dass aufgrund coronabedingter Maßgaben eine Benutzung der im Gebäude des Gerichts zur Verfügung stehenden Gerichtssäle grundsätzlich nur noch mit eingeschränkter Personenzahl erfolgen darf, die zu erwartende Zahl der Beteiligten diese derzeit zugelassene Personenzahl überschreitet, ohne diese coronabedingte Beschränkung eine Sitzung im gerichtseigenen Sitzungssaal allerdings ohne Weiteres durchführbar wäre. Denn in diesem Fall ist die Notwendigkeit der Anmietung nicht durch eine außergewöhnlich große Anzahl von Personen bedingt, sondern resultiert aus der derzeit eingeschränkten Nutzbarkeit der im Gerichtsgebäude zur Verfügung stehenden Gerichtssäle.*)

Online seit 11. Mai
IBRRS 2022, 1476
BGH, Urteil vom 30.03.2022 - VIII ZR 121/21
Zur Wirksamkeit der Abtretung des Anspruchs eines Wohnungsmieters an einen Inkassodienstleister auf Rückerstattung zu viel gezahlter Miete wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Begrenzung der Miethöhe (§§ 556d ff. BGB), verbunden mit der Aufforderung an den Vermieter, künftig von dem Mieter nicht mehr die als überhöht gerügte Miete zu verlangen und diese auf den zulässigen Höchstbetrag herabzusetzen (hier: Abgrenzung der einem registrierten Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG a.F. gestatteten Forderungseinziehung von unzulässigen Maßnahmen der Anspruchsabwehr).*)

IBRRS 2022, 1475

BGH, Beschluss vom 08.03.2022 - VI ZB 25/20
Zum Eingang eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten elektronischen Dokuments (hier: Berufungsbegründung) bei Gericht (§ 130a Abs. 5 ZPO).*)
IBRRS 2022, 1466

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2022 - 3 S 470/22
1. § 4 AGVwGO ist auch auf Entscheidungen über Anträge entsprechend § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Änderung eines Beschlusses im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht anwendbar. Der Senat entscheidet daher in der Besetzung mit drei Richtern.*)
2. Für das Verfahren zur Abänderung eines stattgebenden Beschlusses nach § 47 Abs. 6 VwGO in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gelten dieselben Maßstäbe wie für das Aussetzungsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO. Bei der Frage, ob die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans weiterhin geboten ist, kann infolgedessen auch von Bedeutung sein, ob mögliche Rechtsfehler Belange der Antragsteller des Normenkontrollverfahrens berühren oder nicht.*)

Online seit 10. Mai
IBRRS 2022, 1470
AG Mönchengladbach-Rheydt, Beschluss vom 04.11.2021 - 503 L 001/21
1. Leistet ein Vollstreckungsschuldner (zur Abwendung anderweitiger Vollstreckungsmaßnahmen) eigene Zahlungen auf Ansprüche gem. § 10 ZVG, steht ihm ein Erstattungsanspruch gegen die Zwangsverwaltungsmasse nicht zu.*)
2. Ein Ersteher des Vollstreckungsobjekts kann vom Vollstreckungsgericht keine Weisung beanspruchen, wonach der Zwangsverwalter Betriebskostenabrechnungen für Abrechnungsjahre vor dem Beschlagnahmejahr zu erstellen hat (Abgrenzung zu BGH, NJW 2003, 2320; NJW 2006, 2626).*)

IBRRS 2022, 1387

OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2022 - 8 W 3/22
Leistet der durch ein Anerkenntnisvorbehaltsurteil im Urkundenverfahren verurteilte Beklagte Sicherheit zur Abwendung der Zwangsvollstreckung und wird die Klage im Nachverfahren abgewiesen, ist die Veranlassung zur Sicherheitsleistung i.S. des § 109 Abs. 1 ZPO auch dann entfallen, wenn gegen das im Nachverfahren ergangene Urteil Berufung eingelegt wurde, über die noch nicht entschieden ist.*)

Online seit 9. Mai
IBRRS 2022, 1423
BGH, Urteil vom 11.02.2022 - V ZR 15/21
Wird einer Partei entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt einer beglaubigten Abschrift lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt, wird der darin liegende Zustellungsmangel geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen.*)

Online seit 6. Mai
IBRRS 2022, 1366
LG Freiburg, Beschluss vom 27.04.2022 - 3 T 45/22
1. Verpflichtet sich ein Vermieter, in einem gerichtlichen Vergleich eine sanierungsbedürftige Wohnung mit Notstrom zu versorgen, und kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so ist der Anspruch des Mieters mit einem Zwangsgeld durchsetzbar.
2. Eine rechtliche Zulässigkeit oder Zumutbarkeit der geschuldeten Handlung ist im Verfahren nach § 888 ZPO ohne Belang.
3. Einwendungen, die nicht im Erkenntnisverfahren vorgetragen wurden, sind im Verfahren gem. § 888 ZPO nicht zu berücksichtigen.

IBRRS 2022, 1397

BAG, Beschluss vom 06.04.2022 - 5 AZN 700/21
1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspannt und in der Folge einen angebotenen Beweis zu Unrecht nicht erhebt.
2. Die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, hat den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Der Beweisführer muss sich nicht darüber äußern, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung hat. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab.
3. Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind (oder sein können), ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet.

Online seit 5. Mai
IBRRS 2022, 1286
AG Emmendingen, Beschluss vom 21.03.2022 - 16 M 144/22
1. Ein durch einen Rechtsanwalt per bea eingereichter Vollstreckungsschutzantrag, der weder eine qualifizierte elektronische Signatur noch eine einfache Signatur enthält, ist unzulässig.
2. Ein lediglich durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und ein Hausarztattest nachgewiesenes Rückenleiden stellt keine Härte dar, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren wäre.

IBRRS 2022, 1287

LG Offenburg, Urteil vom 20.01.2022 - 4 OH 15/21
Erfolgt die Übertragung von Miteigentumsanteilen "uno actu" mit der Begründung von Wohnungs- und Teileigentum gem. § 3 WEG, so handelt es sich um denselben Beurkundungsgegenstand i.S.v. § 109 Abs. 1 GNotKG und es werden hierdurch keine zusätzlichen Notargebühren ausgelöst.

IBRRS 2022, 1402

BGH, Urteil vom 06.04.2022 - VIII ZR 262/20
Zu den Anforderungen an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Klägers in der Klageschrift (hier: c/o-Adresse einer rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts).*)

Online seit 4. Mai
IBRRS 2022, 1388
OLG Schleswig, Beschluss vom 03.03.2022 - 7 U 27/22
1. Eine Fristversäumnis ist verschuldet, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre. Bei der Unterzeichnung eines fristwahrenden Schriftsatzes muss sich der Rechtsanwalt davon überzeugen, dass das richtige Empfangsgericht angegeben ist.*)
2. Seit dem 01.01.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine „automatisierte Bestätigung“ über den Zeitpunkt des Eingangs erteilt. Dieses Prüfprotokoll ist unverzüglich vom Rechtsanwalt auch im Hinblick auf die ordnungsgemäße Versendung an das zuständige Gericht zu kontrollieren.*)
3. Die Ursächlichkeit einer Falschadressierung an ein unzuständiges Gericht für die Fristversäumung entfällt, wenn das an sich schuldhaftes Verhalten sich wegen eines Fehlers des Gerichts nicht entscheidend auswirkt. Kausalität ist in solchen Fällen nur dann nicht gegeben, wenn die Fristversäumung bei pflichtgemäßer Weiterleitung des Schreibens an das zuständige Gericht vermieden worden wäre. Die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht muss jedoch im „ordentlichen Geschäftsgang“ erwartet werden können. Besondere Bemühungen des unzuständigen Gerichts (wie z.B. eine eingehende Zuständigkeitsprüfung und sofortige Weiterleitung noch am selben Tag) sind insoweit nicht geschuldet.*)

IBRRS 2022, 1385

OLG Hamm, Urteil vom 14.02.2022 - 3 U 121/21
1. Der Erlass eines Grundurteils kommt nur in Betracht, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich des Grundes betreffend sämtliche geltend gemachten Teilansprüche zur Entscheidung reif ist (vgl. BGH, IBR 2016, 58).
2. Im Grundverfahren geklärt und durch Grundurteil entschieden werden muss die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, von deren Erfüllung der vom Kläger geltend gemachte Anspruch abhängt. Dies bedingt zugleich auch, dass grundsätzlich alle vom Beklagten erhobenen Einreden und Einwendungen ausgeschlossen werden müssen, bevor ein Grundurteil ergeht.
3. Auch wenn aus prozesswirtschaftlichen Gründen ein Grundurteil bereits dann für zulässig gehalten wird, wenn ein wirtschaftlicher Teilerfolg mit hinreichender bzw. hoher Wahrscheinlichkeit im Betragsverfahren zu erwarten ist, muss jedenfalls dann, wenn die Parteien darüber streiten, ob der vom Kläger geltend gemachte Schaden entstanden ist, vor Erlass des Grundurteils festgestellt werden, dass ein zu ersetzender Schaden mit hoher Wahrscheinlichkeit entstanden ist.

Online seit 3. Mai
IBRRS 2022, 1269
BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VIII ZR 81/20
1. Das Alter des Mieters und die lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden langjährigen Verwurzelung rechtfertigen für sich genommen noch nicht die Annahme einer Härte, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdigung sind die sich daraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels zu berücksichtigen.
2. Erkrankungen des Mieters in Verbindung mit weiteren Umständen - und in bestimmten Fällen auch allein die im Fall eines Wohnungswechsels bestehende ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters - können einen Härtegrund darstellen.
3. Eine Härte kann auch vorliegen, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
4. Den Mieter trifft jedoch eine Obliegenheit, sich um angemessenen Ersatzwohnraum zu bemühen. Selbst bei einer festgestellten und/oder in Verordnungen zu Grunde gelegten angespannten Wohnungslage für das betroffene Gebiet stellte dies allenfalls ein gewisses Indiz für das Vorliegen eines Härtegrunds dar, das jedoch erst in Verbindung mit substanziiertem (unstreitigem oder nachgewiesenem) Parteivortrag des Mieters zu konkret ergriffenen Maßnahmen zum Auffinden von geeignetem und bezahlbarem Wohnraum zu der tatrichterlichen Überzeugung führen kann, dass angemessener Wohnraum zu zumutbaren Bedingungen für den Mieter (und seine Familien- oder Haushaltsangehörigen) nicht zu erlangen ist.
5. Hat das Berufungsgericht die Revision wegen einer Rechtsfrage zugelassen, die nur für einen eindeutig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs von Bedeutung ist, kann die gebotene Auslegung der Entscheidungsgründe ergeben, dass die Zulassung der Revision auf diesen Teil des Streitstoffs beschränkt ist.
6. Selbst im Fall einer notwendigen Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) entfaltet ein verfahrensfehlerhaft nicht alle notwendigen Streitgenossen erfassendes Urteil keine Bindungswirkung gegenüber den nicht am Rechtsstreit beteiligten Streitgenossen.

IBRRS 2022, 1386

KG, Beschluss vom 25.02.2022 - 6 U 218/21
1. Eine Ausnahme von der seit dem 01.01.2022 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen (§§ 130a, 130d ZPO), besteht gem. § 130d Satz 2 ZPO nur dann, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist.*)
2. Sieht sich der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen (hier: ausstehendes Ergebnis eines PCR-Testes zum Ausschluss eines Coronaleidens) nicht in der Lage, seine Kanzleiräume aufzusuchen und den Schriftsatz dort elektronisch zu übermitteln, stellt dies keine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen dar.*)
3. Die technische Störung ist gem. § 130d Satz 3 ZPO unmittelbar bei der Ersatzeinreichung auf herkömmlichem Wege oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; die Mitteilung von Gründen erst 20 Tage nach Einreichung des Originalschriftsatzes genügt diesen Anforderungen nicht.*)
4. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt vor dem Fristablauf nicht alle ihm noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wie etwa die Suche nach einem vertretungsbereiten Kollegen zur formwirksamen Einreichung der fertigen Berufungsbegründungsschrift.*)

IBRRS 2022, 1367

BFH, Beschluss vom 22.03.2022 - VIII B 49/21
1. Ein am Morgen des Vortags der mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung gestellter Antrag ist nur dann wie ein "in letzter Minute" gestellter Antrag zu behandeln, bei dem der Antragsteller einer Verpflichtung zur Glaubhaftmachung unterliegt, wenn besondere Umstände hinzutreten. Solche Umstände können darin liegen, dass der Antragsteller dem Finanzgericht keine Kontaktdaten zur Verfügung stellt, die es dem Finanzgericht ermöglichen, ihn nach der Antragstellung erreichen und zur Glaubhaftmachung auffordern zu können.*)
2. Nicht ausreichend für eine fehlende Erreichbarkeit ist es, wenn der Kläger dem Finanzgericht zwar nur seine Anschrift angibt und mit diesem nur per Fax kommuniziert, das Finanzgericht aber anhand des Namens, der Anschrift und der Berufsbezeichnung des Klägers im Wege einer Internetrecherche eine Telefonnummer des Klägers ohne weiteres ermitteln kann. Unterlässt das Finanzgericht inee solche Recherche, darf es den Verlegungsantrag nicht wie einen "in letzter Minute" gestellten Antrag behandeln.*)

Online seit 2. Mai
IBRRS 2022, 1348
OLG Schleswig, Beschluss vom 04.04.2022 - 7 W 10/22
1. Nach einer teilweisen Klagrücknahme vor dem Verhandlungstermin und Teilunterliegen der Beklagtenseite ist die Quote nicht einfach nach dem Verhältnis des zurückgenommenen Teils zu dem Gesamtstreitwert zu bilden, weil dabei unberücksichtigt bleibt, dass die später im Verlauf des Rechtsstreits anfallenden Gebühren nach einem geringeren Streitwert zu berechnen sind.*)
2. Die Kostenquote ist in solchen Fällen dadurch zu ermitteln, dass die tatsächlichen Mehrkosten, die auf den zurückgenommenen Teil entfallen, errechnet und diese in das Verhältnis zu den tatsächlich entstandenen Gesamtkosten gesetzt werden (sog. Mehrkostenmethode).*)

Online seit 29. April
IBRRS 2022, 1351
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 05.04.2022 - 14 OA 119/22
Das Entstehen der Erledigungsgebühr nach Satz 2 der Nr. 1002 VV-RVG setzt eine anwaltliche Mitwirkung voraus.*)

IBRRS 2022, 1344

BGH, Beschluss vom 22.03.2022 - VI ZB 27/20
1. Der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz kann durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist. Voraussetzung ist freilich, dass bei Ablauf der Berufungsfrist zweifelsfrei feststeht, dass die Unterschrift unter dem Beglaubigungsvermerk der Person zurechenbar ist, die aus der Urschrift als deren Urheber hervorgeht (Fortführung Senatsbeschluss vom 24.11.2009 - VI ZB 36/09 Rz. 8 f., IBRRS 2009, 4854; BGH, Beschluss vom 10.04.2018 - VIII ZB 35/17 Rz. 14 f., IBRRS 2018, 1527).*)
2. Zum Grundsatz der materiellen Subsidiarität bei unterbliebener Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen.*)

IBRRS 2022, 1350

OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.03.2022 - 2 O 27/22
Bei der Streitwertbeschwerde kommt es hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerts nicht auf den von diesem ursprünglich festgesetzten Streitwert an, sondern auf den Streitwert, welchen das Verwaltungsgericht im Wege der Teilabhilfe festgesetzt hat.*)

Online seit 28. April
IBRRS 2022, 1327
VGH Hessen, Beschluss vom 15.03.2022 - 4 A 1326/20
1. Ist eine Person, der mittels Zustellungsurkunde etwas zugestellt werden soll, persönlich nicht anzutreffen, kann das Schriftstück auch dadurch zugestellt werden, dass es in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt wird, den der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat.
2. Mit einem auf dem Privatbriefkasten angebrachten lesbaren Hinweis "Bitte auch Briefkasten Anwaltskanzlei benutzen!" werden beide Briefkästen sowohl für private als auch geschäftliche Post als Einlegeort eingerichtet.

IBRRS 2022, 1336

BGH, Urteil vom 24.02.2022 - VII ZR 13/20
1. Zum Begriff der "Berechtigung" i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.*)
2. Die Erhebung einer Klage hemmt die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur für Ansprüche in der Gestalt und in dem Umfang, wie sie mit der Klage geltend gemacht werden, also nur für den streitgegenständlichen prozessualen Anspruch (ständige Rechtsprechung, s. nur BGH, IBR 2017, 537).*)
3. Hat die Klägerin ihre Klage zunächst auf die von ihr mit den Beklagten geschlossenen Werkverträge gestützt und dann vorgetragen, sie sei zur Einziehung der Ansprüche aus diesen Werkverträgen aufgrund einer Ermächtigung nach zuvor erfolgter Abtretung befugt, macht sie einen identischen Anspruch geltend, der im Kern auf den zwischen ihr und den Beklagten geschlossenen Werkverträgen beruht.*)

IBRRS 2022, 1276

OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.02.2022 - 1 AR 2/22
1. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses kann nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen.
2. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt.
3. § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG ist weit auszulegen und ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist.
4. Dass nach Maßgabe dieser Grundsätze auch die Streitigkeit zwischen Mitgliedern einer Bruchteilseigentümergemeinschaft nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 WEG zu behandeln sei, erscheint zwar zweifelhaft, indes ist diese Ansicht nicht gänzlich unvertretbar und mithin auch nicht willkürlich.

Online seit 27. April
IBRRS 2022, 1271
OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.01.2022 - 2 W 4619/21
Für eine gestaffelte Streitwertfestsetzung gem. § 63 GKG nach Verfahrensabschnitten oder Zeiträumen besteht kein Raum.*)

IBRRS 2022, 1169

KG, Beschluss vom 24.01.2022 - 8 W 2/22
1. Der Streitwert bei einer Klage auf Zustimmung zur Auswechslung eines Mieters orientiert sich auch im Falle einer Mietermehrheit an der Gesamtmiete; es ist nicht nur die anteilige Miete des ausscheidungswilligen Mieters zu Grunde zu legen.
2. Die Klage auf Auswechslung eines Mieters ist mit dem 3,5-fachen Jahresbetrag der Nettokaltmiete zu bewerten.

Online seit 26. April
IBRRS 2022, 1267
BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VIII ZB 43/21
Zu den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung.*)

IBRRS 2022, 1002

AG Freiburg, Beschluss vom 07.07.2021 - 11 C 290/19
Folgt das Gericht einer vorgetragenen Rechtsauffassung, für die eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist, erst nach Durchführung der Beweiserhebung im Urteil, so sind die Kosten der Beweisaufnahme nicht in Ansatz zu bringen.

Online seit 25. April
IBRRS 2022, 1285
BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VI ZB 20/20
1. Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gehört gem. § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa einer der Berufungsschrift beigefügten Ablichtung des angefochtenen Urteils, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll.*)
2. Die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers kann nicht ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung erzielt werden, sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Hierbei sind, wie auch im Übrigen bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen (Festhalten an BGH, Beschluss vom 24.02.2021 - VII ZB 8/21, IBRRS 2021, 0805 = BauR 2021, 1008).*)
3. Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Weisung erteilen, deren Ausführung er nicht mehr persönlich überprüfen muss. Erteilt der Rechtsanwalt allerdings die den Inhalt der Rechtsmittelschrift betreffende Weisung im Vorfeld der Erstellung des Schriftsatzes, entbindet ihn diese Anordnung regelmäßig nicht von seiner Pflicht, das ihm in der Folge vorgelegte Arbeitsergebnis vor Unterzeichnung sorgfältig auf die richtige und vollständige Umsetzung der anwaltlichen Vorgaben zu überprüfen. (Festhalten an BGH, Beschluss vom 12.05.2016 - IX ZB 75/15, Rz. 8, IBRRS 2016, 3727; Senatsbeschluss vom 29.08.2017 - VI ZB 49/16, Rz. 10, IBRRS 2017, 3618 = NJW-RR 2018, 56).*)

Online seit 22. April
IBRRS 2022, 1268
BGH, Urteil vom 23.03.2022 - VIII ZR 133/20
1. Mit dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses als Einschränkung des durch Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherten Justizgewährleistungsanspruchs soll (lediglich) verhindert werden, dass die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemüht werden oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausgenutzt wird (im Anschluss an BGH, Urteile vom 05.12.1975 - I ZR 122/74, GRUR 1976, 256 unter II; vom 14.03.1978 - VI ZR 68/76, NJW 1978, 2031 unter II 2 a; jeweils m.w.N.). Nur ausnahmsweise können deshalb bei Leistungsklagen besondere Umstände das Verlangen des Klägers, in die materiell-rechtliche Prüfung seines Anspruchs einzutreten, als nicht schutzwürdig erscheinen lassen (im Anschluss an BGH, Urteile vom 25.10.2012 - III ZR 266/11, Rz. 51, IMRRS 2012, 3420 = BGHZ 195, 174; vom 22.08.2018 - VIII ZR 99/17, Rz. 10, IMRRS 2018, 1063 = NJW-RR 2018, 1285).*)
2. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage, mit der - gestützt auf die Vorschrift des § 556g Abs. 3 BGB - die Erteilung von Auskunft über die für die Zulässigkeit der zu Beginn des Mietverhältnisses vereinbarten Miete maßgeblichen Tatsachen nach den Vorschriften über die sog. Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) begehrt wird, kann nicht mit dem materiell-rechtlichen Gesichtspunkt verneint werden, auf die verlangten Auskünfte zu den Ausnahmetatbeständen der §§ 556e und 556f BGB komme es nicht an, weil der Vermieter sich zur Rechtfertigung der vereinbarten Miete lediglich auf die ortsübliche Vergleichsmiete berufe und andere Gründe für die Zulässigkeit der Miethöhe nicht geltend mache. Die Berechtigung des geltend gemachten materiellen Klagebegehrens ist von der Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für die Klage abzugrenzen; sie ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage.*)

IBRRS 2022, 0720

BGH, Beschluss vom 08.02.2022 - VIII ZR 150/20
Es ist nicht geboten, in der Revisionsentscheidung eine Einschränkung dergestalt, dass die Klage derzeit unbegründet sei, in die Entscheidungsformel aufzunehmen.

Online seit 21. April
IBRRS 2022, 1252
OLG Hamm, Beschluss vom 24.03.2022 - 4 W 4/22
§ 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO steht dem Erlass eines die Erledigung des Rechtsstreits feststellenden Versäumnisurteils gegen den Beklagten aufgrund einer nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilten Erledigungserklärung des Klägers und nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilter Erledigungstatsachen jedenfalls dann entgegen, wenn die Erledigungstatsachen ausschließlich der Einfluss- und Wahrnehmungssphäre des Klägers angehören.*)
