Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 1/2026 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht endet das Rechtsprechungsjahr mit einem Paukenschlag aus Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Vorteilsausgleichung wegen eines Abzugs neu für alt aufgrund der Beseitigung eines Mangels auch dann nicht in Betracht kommt, wenn der Mangel sich relativ spät auswirkt und der Besteller keine Gebrauchsnachteile hinnehmen musste (
S. 13). Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht deshalb den Vorschussanspruch wegen großflächiger Risse und Unebenheiten in der Betonoberfläche eines im Jahr 2010 fertig gestellten Fahrsilos gekürzt. Damit verengt sich der Anwendungsbereich des Abzugs neu für alt – zum Leidwesen der in Anspruch genommenen Unternehmer – im werkvertraglichen Gewährleistungsrecht noch weiter. Ausdrücklich offengelassen hat der VII. Senat, ob im Einzelfall eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens (§ 254 Abs. 2 BGB) geboten sein könnte, wenn die Mängelbeseitigung relativ spät erfolgt, dieser Zeitablauf bewusst vom Besteller herbeigeführt wird und dem Unternehmer deshalb wesentlich höhere Mängelbeseitigungskosten entstehen.
Wenn keine Vertragsfrist für die Baufertigstellung ausdrücklich vereinbart ist, kann auch keine Fälligkeit eintreten. Diese – zuweilen „auf der Baustelle“ anzutreffende – Annahme haben das OLG München und das OLG Köln unisono ins Reich der Mythen verbannt. Bereits der Ablauf einer sog. angemessenen Herstellungsfrist kann die Fälligkeit begründen (so bereits BGH,
IBR 2001, 251). Jedoch führt deren Ablauf nicht automatisch zum Verzug, vielmehr bedarf es hierfür in Ermangelung einer kalendermäßigen Bestimmung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich einer Mahnung, worauf das OLG Köln zutreffend hinweist (
S. 8). Das OLG München ergänzt diesen Komplex um eine weitere Facette: Sind die Produktionsmittel so unzureichend, dass die besagte angemessene Herstellungsfrist offenbar nicht eingehalten werden kann, muss der Auftragnehmer eines VOB/B-Vertrags auf Verlangen unverzüglich Abhilfe schaffen. Verletzt der Auftragnehmer diese Abhilfepflicht, kommt eine darauf gestützte Kündigung (§ 5 Abs. 4 VOB/B) gleichwohl nur dann in Betracht, wenn der Auftraggeber darlegen und beweisen kann, dass die Überschreitung der Ausführungsfrist aufgrund unzureichender Produktionsmittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war (
S. 6).
Im Recht der Architekten und Ingenieure spielt das Abrechnungsverhältnis als sog. Abnahmesurrogat eine ebenso wichtige Rolle wie im Bauvertragsrecht – und kann sich für Auftraggeber als veritable Verjährungsfalle erweisen, wie eine Entscheidung des OLG Hamburg lehrt: Gegen die vom Auftraggeber geltend gemachten Mängelansprüche erhob der Architekt die Einrede der Verjährung. Der Auftraggeber meint, die Verjährungsfrist für die Mängelansprüche habe mangels Abnahme nicht zu laufen begonnen. Weil aber der Auftraggeber die Kündigung erklärt und darüber hinaus verschiedentlich zum Ausdruck gebracht habe, endgültig keine Vertragserfüllung mehr zu verlangen, sei das Erfüllungs- in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen. Mit dem Übergang in das Abrechnungsverhältnis habe die Verjährungsfrist – auch ohne Abnahme – zu laufen begonnen und sei zwischenzeitlich abgelaufen (
S. 26). Der Auftraggeber geht somit leer aus, weil er die Rechtsfolgen des Übergangs in ein Abrechnungsverhältnis verkannt hat. Dazu gehört nicht nur, dass die Verjährungsfristen für Mängelansprüche zu laufen beginnen. Insbesondere kann auch die Vergütungsforderung des Auftragnehmers fällig werden, wenn der Auftragnehmer eine prüfbare Schlussrechnung erteilt (§ 650q Abs. 1 i.V.m. § 650g Abs. 4 BGB). Streitig ist indessen, ob auch die Darlegungs- und Beweislast für die Mangelhaftigkeit des Werkes (vgl. § 363 BGB) auf den Auftraggeber übergeht (dagegen zuletzt: OLG Zweibrücken,
IBR 2025, 346).
„Wer schreibt, der bleibt!“ ist eine Binsenweisheit, der aber gerade im Vergaberecht eine besondere Bedeutung zukommt. Denn die Dokumentation des Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber entscheidet in vielen Fällen über den Ausgang eines vom Bieter eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens. Beabsichtigt der öffentliche Auftraggeber etwa, den Bieter wegen erheblich oder fortdauernd mangelhafter Erfüllung und daraus resultierender Kündigung bei einem Vor- bzw. Parallelauftrag auszuschließen, bedarf die Dokumentation einer angemessenen Darlegung des Sachverhalts, der zur Kündigung geführt hat, und der Abwägung zwischen den Interessen und der Position des öffentlichen Auftraggebers wie auch einer Auseinandersetzung mit der konträren Position und den Interessen des Bieters (
S. 33).
Über die erforderliche Dokumentation bei einer Preisaufklärung hatte die VK Bund zu befinden: Der öffentliche Auftraggeber muss seine für die abschließende Wertungsentscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, wie die Überprüfung der Angebotspreise und deren Kalkulation vorgenommen wurde. Dazu muss die Dokumentation alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können. Weil der öffentliche Auftraggeber dem nicht genügte und die Wertungsentscheidung deshalb nicht nachvollziehbar war, war das Vergabeverfahren zurückzuversetzen (
S. 32).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Thomas Ryll
Rechtsanwalt
Schriftleiter der IBR



