Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 08/2017 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht spielen Streitigkeiten über Nachträge in der Praxis eine ganz erhebliche Rolle. Dabei geht es zumeist nicht um die Bezahlung „eindeutiger“ Änderungs- oder Zusatzleistungen, sondern um die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte – vom Auftraggeber geforderte – Leistung bereits vom Vertrag umfasst und deshalb mit der vereinbarten Vergütung abgegolten ist, oder ob es sich um eine sog. Nachtragsleistung handelt, die vom Auftraggeber zusätzlich zu vergüten ist. Das KG betont in seinem Urteil vom 13.06.2017, dass der Auftragnehmer im Werkvertrag vorleistungspflichtig ist, und entwickelt daraus den Grundsatz „Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit“. Der Auftragnehmer darf seine Leistung deshalb nicht allein aus dem Grund verweigern, dass ihm der Auftraggeber einen umstrittenen Nachtrag nicht zubilligt. Ein Grund zur Leistungsverweigerung entsteht erst dann, wenn der Auftraggeber in Verzug mit der Zahlung tatsächlich fälliger Abschlagszahlungen gerät, die allerdings auch für die Ausführung umstrittener Nachträge begründet werden können ( S. 421).
Nach ständiger – wenn auch nicht unbestrittener (siehe hierzu insbesondere Preussner, in: Fuchs/Berger/Seifert, HOAI, Syst B Rz. 279 ff.) – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (seit dem Beschluss des Großen Zivilsenats vom 01.02.1965 – GSZ 1/64, NJW 1965, 1175) haften der bauüberwachende Architekt und der bauausführende Auftragnehmer dem Auftraggeber wegen Ausführungsfehlern, die der Bauüberwacher hätte erkennen können, als Gesamtschuldner. Handelt es sich bei dem Auftragnehmer um einen Generalunternehmer und hat dessen Nachunternehmer den Ausführungsmangel verursacht, besteht zwischen dem bauüberwachenden Architekten und dem betreffenden Nachunternehmer keine Gesamtschuld, weil dieser mit dem Auftraggeber in keinem direkten Vertragsverhältnis steht. Tritt der Generalunternehmer seine ihm gegenüber dem Nachunternehmer zustehenden Mängelansprüche jedoch an den Auftraggeber ab, kommt nach Ansicht des OLG Brandenburg zwischen dem Nachunternehmer und dem bauüberwachenden Architekten ein Gesamtschuldverhältnis zu Stande ( S. 432).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist das Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 01.06.2017 hervorzuheben. Anknüpfend an die Entscheidung des V. Zivilsenats vom 18.03.2016 ( IBR 2017, 166) weist das Gericht darauf hin, dass die Vertretungsmacht des Ersten Bürgermeisters einer bayerischen Gemeinde im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt ist. Infolgedessen wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des Ersten Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung des Gemeinderats vorgenommen hat. Beauftragt der Erste Bürgermeister also den „falschen“ Architekten, ist der geschlossene Planervertrag gleichwohl wirksam ( S. 438).
Im Vergaberecht gelten seit April 2016 die ersten Verpflichtungen zur Einführung der eVergabe. „Zentrale Beschaffungsstellen“ müssen seit Frühjahr dieses Jahres vollständige eVergabe-Verfahren durchführen. Spätestens ab Oktober gilt die Pflicht zur eVergabe auch für die letzten Vergabestellen. Zu den neuen Pflichten der Bieter kann es gehören, dass Angebote elektronisch einzureichen sind. Das ist für die Bieter nicht frei von Risiken. So hat das OLG Karlsruhe entschieden, dass bei elektronischen Angeboten die Vertraulichkeit durch Verschlüsselung des Angebots sicherzustellen ist. Eine ausdrückliche diesbezügliche Vorgabe des Auftraggebers ist dafür nicht erforderlich. Reicht der Bieter ein unverschlüsseltes elektronisches Angebot ein, ist dieses zwingend auszuschließen, wobei es auf die Frage eines etwaigen Verschuldens oder Vertretenmüssens nicht ankommt. Der Mangel der fehlenden Verschlüsselung kann nach Ansicht des Gerichts auch nicht durch die nochmalige verschlüsselte Übermittlung des Angebots geheilt werden ( S. 446).
Ein für alle Verträge wichtiges und deshalb in die Rubrik Allgemeines Zivilrecht eingeordnetes Urteil ist das des OLG Hamm vom 04.10.2016. Nach Ansicht des Gerichts reicht die telekommunikative Übermittlung per E-Mail aus, um ein vertraglich vereinbartes Schriftformerfordernis zu erfüllen ( S. 464). Damit hat sich – neben dem OLG Koblenz ( IBR 2017, 192) – ein weiteres Oberlandesgericht gegen die Auffassung des OLG Frankfurt gestellt. Das OLG Frankfurt hatte 2012 in einer vielfach kritisierten Entscheidung vertreten, dass eine mit „einfacher“ E-Mail verschickte Mängelrüge nicht ausreicht, um im VOB-Vertrag die Verjährung für Mängelansprüche zu verlängern ( IBR 2012, 386).
Im Zusammenhang mit elektronischen Medien dürfte auch die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 03.05.2015 für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von Interesse sein. Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass angesichts des zunehmenden elektronischen Rechtsverkehrs die Kommunikation mit elektronischen Medien (z. B. per Mail) für den Anfall der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG ausreicht, auch wenn aufgrund von Flatrate-Verträgen die Aufschlüsselung einzelner Kosten für die konkrete Kommunikation nicht möglich ist ( S. 471).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Verleger und Schriftleiter der IBR