Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 9/2015 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
in der Baupraxis kommt es gelegentlich vor, dass ein Unternehmer die Bauarbeiten ohne die erforderliche Baugenehmigung beginnt. Hierzu hat das OLG Celle in seinem Urteil vom 07.03.2013 entschieden ( S. 474), dass der Besteller den Werkvertrag dann aus wichtigem Grund (schwere Vertragspflichtverletzung) kündigen kann (vgl. auch KG, IBR 1997, 209 - Architektenvertrag).
Verlangt der Besteller von dem Unternehmer Ersatz aufgewendeter Mängelbeseitigungskosten, muss er darlegen, dass die durchgeführten Maßnahmen der Mängelbeseitigung gedient haben. Dabei bestehe - so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25.06.2015 ( S. 478) - keine Vermutung dahingehend, dass stets sämtliche von einem Drittunternehmer im Zuge der Mängelbeseitigung durchgeführten Maßnahmen ausschließlich der Mängelbeseitigung gedient hätten. Im Verhältnis zum Unternehmer bestehe auch kein schützenswertes Vertrauen des Bestellers, der Drittunternehmer werde nur Arbeiten zur Mängelbeseitigung durchführen. Manteufel führt in seinem Praxishinweis zu dieser Entscheidung zutreffend aus, dass die Differenzierung zwischen der Erforderlichkeit der Mängelbeseitigungsmaßnahmen und der Erforderlichkeit der mit den Maßnahmen verbundenen Aufwendungen nicht immer leicht ist. Zumal der Unternehmer, der seiner Pflicht zur Mängelbeseitigung nicht nachgekommen ist, das Risiko überhöhter Drittunternehmerkosten und einer aufwändigen, aber vertretbaren Sanierung trägt (sog. "Einschätzungs- und Prognoserisiko"; dazu OLG Hamm, IBR 2015, 306).
Ist nach einer Landesbauordnung eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (bzw. eine Zustimmung im Einzelfall) für ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) erforderlich und fehlt diese, ist das WDVS mangelhaft (OLG Stuttgart, Urteil vom 31.03.2015 = S. 482). Begründung des OLG Stuttgart: Auch ohne besondere Vereinbarung verspreche der Unternehmer stillschweigend bei Vertragsschluss das Einhalten der einschlägigen Gesetze und der allgemein anerkannten Regeln der Technik (siehe auch § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/B). Diese Entscheidung spricht die interessante Frage der Einordnung öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften in die werkvertragliche Sachmangelsystematik an (vgl. hierzu Reichert/Wedemeyer, BauR 2013, 1 ff).
Im Recht der Bausicherheiten hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 09.07.2015 ( S. 485) entschieden, § 17 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B 2002 sei dahingehend auszulegen, dass der Besteller eine als Sicherheit für Mängelansprüche erhaltene Bürgschaft nach Ablauf der zweijährigen Sicherungszeit nicht (mehr) zurückhalten dürfe, wenn die Mängelansprüche verjährt seien und der Unternehmer die Einrede der Verjährung erhebe.
Im Bauträgerrecht ist das Urteil des OLG Stuttgart vom 31.03.2015 ( S. 492) von besonderem Interesse, wonach eine in AGB des Bauträgers enthaltene Klausel zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch einen (vereidigten) Sachverständigen nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sei (siehe außerdem BGH, IBR 2013, 686 = IMR 2013, 471 - unwirksame Klausel zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch einen vom Bauträger bestimmbaren Erstverwalter). Die Frage, wie man dieses Problem - insbesondere bei sog. "Nachzüglern" (hierzu Basty, BauR 2012, 316 ff) - in den Griff bekommen kann, wird die Praxis sicher noch einige Zeit beschäftigen (siehe Messerschmidt/Leidig, BauR 2014, 1 ff; Scheffelt, BauR 2014, 163 ff; Pause/Vogel, BauR 2014, 764 ff).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist das Urteil des OLG Köln vom 30.10.2014 ( S. 496) hervorzuheben, wonach ein Architekt - auch wenn keine Baukostengarantie vertraglich vereinbart worden sei - dem Bauherrn gegenüber eine zutreffende Beratung über die Baukosten schulde. Nehme der Bauherr den Architekten wegen einer insofern fehlerhaften Beratung in Anspruch, müsse er neben der Pflichtverletzung auch den Schaden und die Kausalität darlegen und beweisen. Eine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens - so das OLG Köln - existiere nicht.
Hinsichtlich der Pflichten eines Rechtsanwalts ist auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.06.2015 ( S. 522) hinzuweisen. Danach muss ein Rechtsanwalt im Fall einer vorhersehbaren Erkrankung konkrete Maßnahmen zur Fristwahrung treffen. Das Besondere dabei war, dass der Rechtsanwalt bereits im Vorjahr ähnliche krankheitsbedingte Symptome hatte, die aber nach kurzer Zeit wieder abgeklungen waren. Auf diesen erneuten Verlauf habe er - so der Bundesgerichtshof - jedoch nicht vertrauen dürfen.
In der Rubrik Prozessuales ist auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.06.2015 ( S. 526) aufmerksam zu machen. Danach besteht ein Schadensersatzanspruch des Schuldners nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Fall der Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils im Rechtsmittelverfahren nur, soweit das Urteil zum Nachteil des Gläubigers abgeändert worden ist (ebenso schon BGH, IBR 2007, 349).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache:
Anfang August 2015 bin ich zum Vizepräsidenten des Landgerichts Siegen ernannt worden. Damit ändert sich nach knapp 5 Jahren, in denen ich beim Bundesgerichtshof und danach beim OLG Hamm ganz überwiegend mit Bausachen befasst war, mein beruflicher Tätigkeitsbereich. Trotzdem bleibe ich dem privaten Baurecht sowie Prozessrecht weiterhin insbesondere in Form von Veröffentlichungen und Vorträgen treu.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Mark Seibel
Vizepräsident des Landgerichts
Mitherausgeber