Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 8/2011 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
bei einem VOB-Vertrag hat der Auftragnehmer nicht vereinbarte Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, auf Verlangen des Auftraggebers mit auszuführen. Andere Leistungen können dem Auftragnehmer nur mit seiner Zustimmung übertragen werden. Erbringt der Auftragnehmer auf Anordnung des Auftraggebers Zusatzleistungen, die zur Vertragserfüllung nicht erforderlich sind, führt das nicht dazu, dass ein eigenständiger Bauvertrag ohne Einbeziehung der VOB/B zu Stande kommt, wenn eine im Vertrag bereits vorgesehene Leistung ausgeweitet wird. Auf die so beauftragte Zusatzleistung finden deshalb die Vorschriften der VOB/B Anwendung. Dies hat unter anderem zur Folge, dass für die Höhe der Vergütung das Preisniveau des Ursprungsvertrags maßgeblich ist (OLG München, S. 447).
Im Rahmen der Vertragsabwicklung kommt es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien, häufig über die Berechtigung von Nachtragsforderungen oder das Vorliegen von Mängeln. Aufgrund der bauvertraglichen Kooperationspflicht müssen bei solchen Auseinandersetzungen die Argumente, Alternativen und Gegenvorschläge der anderen Partei zumindest zur Kenntnis genommen und zum Gegenstand eines Meinungsaustauschs gemacht werden. Gegen diese Verpflichtung wird nach Auffassung des OLG Brandenburg verstoßen, wenn auf Schriftverkehr nicht rechtzeitig reagiert wird und unberechtigte Gegenforderungen gestellt werden. Ein solches Verhalten kann die andere Vertragspartei zur sofortigen Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund berechtigen ( S. 451).
Gibt der Auftraggeber im Leistungsverzeichnis die Verwendung eines bestimmten Materials vor, liegt darin eine Beschaffenheitsvereinbarung. Jede Abweichung hiervon stellt deshalb einen Mangel dar. Das gilt auch dann, wenn hiermit keine Nachteile für den Auftraggeber verbunden sind. Insbesondere kommt es nicht auf die aus Sicht des Auftragnehmers vermeintlich gegebene Gleichwertigkeit an. Verlangt der Auftraggeber die Beseitigung der abweichend vom Vertrag erbrachten Leistung, kann der Auftragnehmer, der vorsätzlich von den vertraglichen Vorgaben abweicht, in der Regel auch nicht den Einwand der Unverhältnismäßigkeit geltend machen (OLG Koblenz, S. 454). Nimmt der Auftraggeber in einem solchen Fall den Auftragnehmer auf Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung in Anspruch, sind daran nicht die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei den Kosten der Ersatzvornahme. Die Höhe des Vorschusses kann geschätzt werden, wozu die Vorlage nachvollziehbarer Angebote ausreicht (OLG Stuttgart, S. 457).
Im Architekten- und Ingenieurrecht stellt sich oftmals das Problem, den genauen Umfang der vom Architekten oder Ingenieur geschuldeten Leistung ermitteln zu müssen. Denn wird eine bestimmte, für die Errichtung eines mangelfreien Bauwerks erforderliche Planungsleistung nicht erbracht und kommt es zu Ausführungsmängeln, ist die Planung unvollständig und mangelhaft. Die Leistungen der Grundlagenermittlung setzen voraus, dass dem Bauherrn jedenfalls bei entsprechendem Anlass die Einholung eines Baugrundgutachtens empfohlen werden muss. Kommt der Architekt dieser Verpflichtung nicht nach und treten später Setzungsschäden auf, ist der Schadensersatzanspruch des Bauherrn auf eine sichere Ursachenbeseitigung gerichtet, selbst wenn dies nur mit dem finanziellen Aufwand eines Neubaus möglich ist. Das hat das OLG Naumburg entschieden ( S. 471).
Nach VOB/A 2009 und VOL/A 2009 führen fehlende Erklärungen und Nachweise nicht zwingend zum Ausschluss des betroffenen Bieters vom Vergabeverfahren. Solche Angaben und Erklärungen können im Einzelfall nachgefordert werden. Das gilt allerdings nicht, wenn die Vergabestelle in den Bewerbungsbedingungen festgelegt hat, dass die Angebote vollständig sein müssen und alle geforderten Angaben und Erklärungen zu enthalten haben. Hierdurch übt die Vergabestelle ihr Ermessen bereits im Vorfeld dahingehend aus, dass fehlende Unterlagen nicht nachgefordert werden dürfen und die formelle Unvollständigkeit der Angebote zum Ausschluss vom Vergabeverfahren führt (VK Sachsen-Anhalt, S. 481).
Ein selbständiges Beweisverfahren wird in der Praxis meistens vom Auftraggeber der Baumaßnahme eingeleitet, um das Vorhandensein und die Ursache von Mängeln festzustellen. Dass das auch anders sein kann, zeigt ein Urteil des OLG Hamm ( S. 498). In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt hat der Auftragnehmer den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Mangelfreiheit seiner Leistung gestellt. Nach Ansicht des OLG Hamm führt das zu einer Hemmung der Verjährung der Werklohnforderung, weil diese mangels Abnahme oder Bestehens eines Abrechnungsverhältnisses zum Zeitpunkt der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens noch gar nicht fällig ist.
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Dr. Alfons Schulze-Hagen
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
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