Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 6/2013 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
im Bauvertragsrecht hat sich der Bundesgerichtshof erneut in zwei Entscheidungen mit spekulativ erhöhten Einheitspreisen befasst (siehe hierzu BGH, IBR 2010, 256; IBR 2009, 128; IBR 2009, 127). Die Rechtslage mag auf den ersten Blick unübersichtlich erscheinen.
So finden sich zu dieser Problematik Entscheidungen, wonach schon die 2,1- bis 9-fache Überschreitung des üblichen Preises dazu führt, dass der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit als nichtig angesehen wird (KG, IBR 1995, 334). Andererseits soll sogar ein 800-fach überhöhter Einheitspreis nicht unbedingt sittenwidrig sein (OLG Jena, IBR 2009, 634). In den Urteilen vom 07.03.2013 und 14.03.2013 konkretisiert der Bundesgerichtshof nunmehr seine bisherige Rechtsprechung und gibt - ohne sich auf konkrete Prozentsätze festzulegen - die Prüfungsschritte für die Beantwortung der Frage nach der Sittenwidrigkeit der Preisvereinbarung vor:
1. Liegt ein deutlich überhöhter Einheitspreis vor? Das kann bereits der Fall sein, wenn der Preis das Achtfache des ortsüblichen und angemessenen Preises beträgt ( S. 330).
2. Haben sich die dem Vertrag zu Grunde liegenden Mengen erheblich erhöht? Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Mengenänderung im Sinne des § 2 Abs. 3 VOB/B oder um eine geänderte bzw. zusätzliche Leistung nach § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B handelt (BGH, IBR 2009, 127).
3. Ist der über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann?
4. Gehen die außergewöhnlich hohen Einheitspreise auf ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben zurück? Sind die in Ziff. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllt, besteht hierfür eine (widerlegbare) Vermutung.
In dem der Entscheidung vom 14.03.2013 zu Grunde liegenden Sachverhalt hat der Auftragnehmer die Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben dadurch widerlegen können, dass ihm nachweislich - zu seinen Gunsten - ein Rechenfehler unterlaufen ist. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs verstößt es allerdings gegen Treu und Glauben, wenn der Auftragnehmer einen solchen Fehler ausnutzt und den sittenwidrigen Preis verlangt ( S. 331). Extrem überhöhte Einheitspreise sind also nicht durchsetzbar.
Im Recht der Architekten & Ingenieure sind die Urteile des OLG Köln vom 13.03.2013 ( S. 352), des OLG Hamm vom 06.03.2013 ( S. 353) und des OLG Celle vom 04.10.2012 ( S. 354) zu den Pflichten des bauüberwachenden Architekten besonders hervorzuheben. In diesem Zusammenhang weist namentlich das OLG Köln darauf hin, dass bei der Erfüllung des Leistungsbilds "Bauüberwachung" erhebliche Anforderungen an den Architekten zu stellen sind. Er muss auf die Übereinstimmung der Ausführung des Objekts mit den jeweiligen Ausführungsplänen, mit der Leistungsbeschreibung und mit den anerkannten Regeln der Technik achten. Hierzu ist es zwar nicht erforderlich, dass sich der Architekt ständig auf der Baustelle aufhält. Vielmehr kann er sich bei einfachen Arbeiten regelmäßig auf die ausführenden Unternehmen verlassen. Eine Aufsicht durch den Architekten ist dagegen immer erforderlich, wenn es sich um wichtige Bauvorgänge handelt, die für die
Erreichung der Bauaufgabe von wesentlicher Bedeutung sind. Zudem ist der Architekt zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu einer intensiveren Bauaufsicht bei kritischen Baumaßnahmen verpflichtet, die erfahrungsgemäß ein höheres Mängelrisiko aufweisen, wie etwa Isolierungs- und Abdichtungsarbeiten.
Im Vergaberecht ist hoch umstritten, ob Nebenangebote zugelassen werden dürfen, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium bildet. Während das OLG Schleswig davon ausgeht, dass Nebenangebote auch dann zu werten sind, wenn der Auftraggeber den günstigsten Preis als einziges Wertungskriterium vorgegeben hat ( IBR 2011, 351), sieht das OLG Düsseldorf ( IBR 2010, 585) darin einen Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG, wonach Auftraggeber Nebenangebote nur bei Aufträgen berücksichtigen dürfen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden. Aufgrund der gegenläufigen Entscheidung des OLG Schleswig hat das OLG Düsseldorf die Sache 2011 dem Bundesgerichtshof vorgelegt ( IBR 2012, 99). Da das Verfahren für erledigt erklärt wurde, hatte der Bundesgerichtshof über diese Frage lediglich im Rahmen einer Kostenentscheidung zu befinden. Das Gericht sieht den Ausgang des Verfahrens zwar als offen an, hält es aber nicht für ausgeschlossen, dass Niedrigstpreisvergaben und Nebenangebote in bestimmten Konstellationen miteinander vereinbar sind ( S. 362). Abschließend kann darüber aber nur der Europäische Gerichtshof entscheiden.
Im Bereich Prozessuales ist insbesondere auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21.03.2013 hinzuweisen. Ergeben sich aus dem vorgelegten Privatgutachten relevante Widersprüche zum Gerichtsgutachten, darf sich der Tatrichter nicht ohne Weiteres den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen anschließen, sondern muss sich von Amts wegen mit dem Privatgutachten auseinandersetzen ( S. 387). Privatgutachten kommt in (Bau-)Prozessen damit eine immer größere Bedeutung zu.
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Stephan Bolz
Chefredakteur