Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 4/2016 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht stellt sich immer wieder die Frage, welche Leistungen der Auftragnehmer zu der vereinbarten Vergütung auszuführen hat. Sie lässt sich - aus Sicht der Bauvertragsparteien leider - nicht schematisch beantworten. Vielmehr muss die Leistungsbeschreibung in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Vertragsbestandteile nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre (§§ 133, 157 BGB) als sinnvolles Ganzes ausgelegt werden. Das macht den Ausgang eines Rechtsstreits in vielen Fällen schlecht prognostizierbar, weil bei der Auslegung zwar (idealerweise) methodisch vorgegangen wird, die Interpretation von Texten und Plänen aber keine mathematisch exakte Wissenschaft ist. Dessen ungeachtet ist bei der Auslegung einer Leistungsbeschreibung zunächst vom Wortlaut auszugehen (BGH, IBR 1993, 411). Dieser darf allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Auch die Stellung eines einzelnen Worts im Satzgefüge und im Gesamtzusammenhang (systematische Auslegung) sowie der Sinn und Zweck des Rechtsgeschäfts (teleologische Auslegung) sind zu berücksichtigen. Deshalb kann bei einer Gesamtbetrachtung aller Vertragsbestandteile die Position des Leistungsverzeichnisses dahingehend zu verstehen sein, dass der Aufwand für die Entsorgung des Abbruchs in den für diese Position anzubietenden und später vereinbarten Einheitspreis einzukalkulieren ist, auch wenn die Entsorgung von abzubrechendem Material nicht wörtlich erwähnt wird. Das hat das OLG Brandenburg am 02.03.2016 entschieden ( S. 204).
Hinzuweisen ist zudem auf zwei Entscheidungen zum Thema Abnahmeverweigerung wegen fehlender Unterlagen. Nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB bzw. § 12 Abs. 3 VOB/B kann die Abnahme wegen unwesentlicher Mängel nicht verweigert werden. Unwesentlich sind in der Regel solche Mängel, die keinen Einfluss auf die Funktionstauglichkeit der Leistung haben, wie etwa optische Mängel oder kleinere Restarbeiten. Lange Mängel¬listen etwa stehen einer Abnahme deshalb nicht unbedingt entgegen (KG, IBR 2013, 139). Ob eine fehlende Dokumentation oder fehlende Protokolle den Auftraggeber dazu berechtigen, die Abnahme zu verweigern, hängt von der Bedeutung der Unterlagen für den Auftraggeber und von den getroffenen Vereinbarungen ab. So stellt eine nicht im richtigen Dateiformat übergebene Dokumentation nach Ansicht des OLG Frankfurt lediglich einen unwesentlichen Mangel dar, der den Auftraggeber nicht dazu berechtigt, die Abnahme zu verweigern ( S. 206). Gleiches gilt dem OLG Köln zufolge für fehlende Druckprüfungs- und Dichtigkeitsproto-kolle ( S. 207).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 23.12.2015 hervorzuheben, wenngleich die Entscheidung die Zulässigkeit eines schottischen Gesetzes betrifft, mit dem Mindestpreise für alkoholische Getränke eingeführt wurden und das auf den ersten Blick wenig mit deutschem Architektenrecht zu tun hat. Allerdings enthält auch die HOAI zwingendes Preisrecht, so dass der Entscheidung durchaus Argumente für die Verteidigung der HOAI, die der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge ist und die deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland anstrebt, zu entnehmen sind ( S. 220).
Daneben gibt es Neues zur Haftung in der Leistungskette, also zur Beantwortung der Frage, ob ein Nach¬unternehmer oder Subplaner für von ihm verursachte Mängel gegenüber seinem Auftraggeber (z. B. einem General¬planer) einzustehen hat, wenn dieser vom Endkunden (Bauherrn) für eben diese Mängel nicht (mehr) in Anspruch genommen werden kann. Nach bisheriger Rechtsprechung zur Haftung in der Leistungskette kann der Auftragnehmer nach dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung gehindert sein, Mängelansprüche gegen seinen Nachunternehmer geltend zu machen, wenn im Rahmen einer werkvertraglichen Leistungskette feststeht, dass er von seinem Auftraggeber wegen dieser Mängel nicht mehr in Anspruch genommen wird (BGH, IBR 2007, 472). Im Fall von durch Planungsmängel bedingten Folgeschäden soll dies allerdings nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2016 nicht gelten ( S. 221, 222).
Im Vergaberecht kommt es bisweilen vor, dass der zukünftige Mieter einer Immobilie (z. B. eine Behörde) schon vor der Errichtung oder dem Umbau des Bauwerks Einfluss auf die Ausgestaltung der Mietsache nimmt. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob es sich bei der anschließenden Ausschreibung des Auftrags um einen (ausschreibungspflichtigen) Bauauftrag oder um einen (nicht ausschreibungspflichtigen) Mietvertrag handelt. Denn ein "Bestellbau zur Miete" ist ein öffentlicher Bauauftrag (VK Sachsen, IBR 2015, 620). Hält sich der Einfluss des Mieters auf die Ausgestaltung der Mietsache allerdings noch im Rahmen dessen, was einem solventen Mieter in der Planungsphase eingeräumt wird und wird die anderweitige Nutzung des Objekts für die Vermietung von Büroräumen nach Auslaufen des Mietvertrags nicht erschwert, liegt nach Ansicht des OLG Jena kein öffentlicher Bauauftrag vor ( S. 231).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Stephan Bolz
Schriftleiter