Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 2/2015 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
im Bauvertragsrecht werden DIN-Normen oder andere technische Regelwerke häufig als das Maß aller Dinge angesehen und die Einstandspflicht für Mängel vom Auftragnehmer entweder mit der Begründung abgelehnt, er habe die einschlägigen DIN-Normen beachtet oder die Ausführung verstoße nicht gegen technische Regelwerke. Diese Argumentation verkennt, dass der Auftragnehmer in erster Linie ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes, den anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Bauwerk schuldet (z. B. BGH, IBR 2000, 65). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Leistung selbst dann mangelhaft, wenn sie gemäß den Anforderungen der einschlägigen DIN-Norm ausgeführt wurde (siehe BGH, IBR 1998, 377). Folglich ist die Podestfläche einer Treppe auch ohne Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften oder DIN-Normen mangelbehaftet, wenn sie aufgrund eines ungleichen und zu starken Gefälles Rutsch- und Stolpergefahren verursacht, so das OLG München ( S. 66).
Nicht nur im Bauvertrags-, sondern auch im Bauträgerrecht stellt sich immer wieder die Frage, welche Leistungen der Erwerber nach der Leistungsbeschreibung erwarten darf bzw. der Bauträger auszuführen hat. Sie ist durch eine Auslegung der Leistungsbeschreibung zu beantworten. Dabei sind auch die Umstände des Bauvorhabens wie technischer und qualitativer Zuschnitt, architektonischer Anspruch und Zweckbestimmung des Gebäudes von Bedeutung. So hat der Bundesgerichtshof in der bekannten "Sonderfarben"-Entscheidung ausgeführt, dass "bestimmte Vorgaben [...] im Zusammenhang eines einfachen Industriebaus anders zu verstehen [sind] als bei einem Repräsentativgebäude" (siehe BGH, IBR 1993, 410). Aufgrund dessen darf der Erwerber einer hochwertigen Eigentumswohnung erwarten, dass auf dem dazugehörigen Stellplatz ein Pkw der gehobenen Mittelklasse mit üblichem Aufwand abgestellt werden kann. Das hat das OLG Frankfurt entschieden ( S. 76).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist die Entscheidung des OLG Brandenburg vom 03.12.2014 hervorzuheben, die sich mit der Länge der Gewährleistungsfrist beim Vollarchitekturvertrag bei fehlender Abnahme befasst. Im zu entscheidenden Sachverhalt ging es um im Jahre 2011 festgestellte Mängel eines 1995 bezogenen Hauses. Nach Ansicht des OLG Brandenburg kann sich ein Architekt gegenüber den Schadensersatzansprüchen des Auftraggebers wegen Planungs- und Überwachungsfehlern in Höhe von 150.000 Euro nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, weil die Verjährung ohne Abnahme grundsätzlich nicht beginnt. Etwas anderes gilt grundsätzlich nur dann, wenn Umstände gegeben sind, nach denen eine Erfüllung des Vertrags nicht mehr in Betracht kommt. Hierfür genügt ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren seit Fertigstellung allein nicht ( S. 82).
In der Vergabepraxis kommt es immer wieder vor, dass einem Bieter bei der Angebotsbearbeitung zu seinen Ungunsten ein Kalkulationsfehler unterläuft und er deshalb ein aus Auftraggebersicht (vermeintlich) besonders günstiges Angebot abgibt. Ein solcher Kalkulationsirrtum berechtigt den Bieter nicht zur Anfechtung seines Angebots. Das gilt selbst dann, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum erkannt hat. Es stellt sich in einer derartigen Situation allerdings die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber den Fehler ausnutzen und das Angebot des Bieters bezuschlagen darf. Der Bundesgerichtshof hat dies in seiner Entscheidung vom 11.11.2014 verneint. Denn öffentliche Aufträge sind zu angemessenen Preisen zu vergeben. Erteilt der Auftraggeber gleichwohl den Zuschlag, stellt dies eine Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten dar. Aufgrund dessen muss der betroffene Bieter die Leistung nicht erbringen. Zudem sind etwaige Schadensersatzansprüche des Auftraggebers ausgeschlossen ( S. 84).
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Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Stephan Bolz
Chefredakteur