Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 12/2003 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
im letzten Heft des Jahres 2003 haben wir uns eine Ausnahme vom Grundsatz der Aktualität erlaubt. Es geht um zwei Stellungnahmen der VOB-Stelle Sachsen-Anhalt aus dem Jahre 1993 und 1998 ( S. 663 f). Gleichwohl sind sie nicht Schnee von gestern, sondern behandeln eine Problematik, die seit dem so genannten Traggerüst- oder Brückenkappenurteil des BGH ( IBR 2002, 231) sehr stark diskutiert wird: Welche Bedeutung hat die VOB/C bei der Ermittlung des Bausolls? Insbesondere: Welche Rolle spielt dabei die Unterscheidung von Besonderen und Nebenleistungen? Während die VOB-Stelle schulmäßig auf die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV) der VOB/C abstellt, betont der BGH den Vorrang der Leistungsbeschreibung einschließlich etwaiger Besonderheiten des Bauwerks. Das Interessante ist, dass beide Begründungswege zu dem selben Ergebnis führten. Jedenfalls bei Stahlbeton- und Betonarbeiten sowie Mauerarbeiten gemäß DIN 18330 und DIN 18331 sind etwaige erforderliche Arbeits-, Schutz- und Traggerüste von den Vertragspreisen abgegolten, wenn nicht für sie im Leistungsverzeichnis eine gesonderte Position vorgesehen ist.
Für Bauträger ist ein Urteil des OLG Hamm ( S. 679) von großer Bedeutung, wonach auch nicht beurkundete Pläne den Leistungsinhalt des Bauträgervertrages mitbestimmen können.
Der Vergabeteil ( S. 682 ff) bietet eine Fülle von interessanten Entscheidungen zur VOB/A. Hervorzuheben ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs ( S. 683), wonach der öffentliche Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen an Änderungsvorschläge bzw. Nebenangebote erläutern muss, um sie bei der Wertung berücksichtigen zu können. Das wird bei den Auftraggebern zu einem weiteren Mehraufwand bei der Erstellung der Verdingungsunterlagen führen.
Für Bau- und Architektenprozesse ist eine Entscheidung des BGH ( S. 705) von großer Bedeutung, wonach die Erstellung und Vorlage einer prüfbaren Schlussrechnung erst in der Berufungsinstanz nicht als verspätet zurückgewiesen werden kann. Angesichts der nach wie vor bestehenden Neigung der Gerichte, Rechnungen als nicht prüffähig zurückzuweisen, ist das eine gute Nachricht für alle diejenigen, die ihr Honorar oder ihre Vergütung gerichtlich durchsetzen müssen.
Ganz besonders empfehle ich Ihrer Lektüre das Interview mit Prof. Dr. Rolf Kniffka über den Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes, der von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet wurde. Ziel dieses Entwurfes ist eine deutliche Besserstellung des Bauhandwerkers, der seine Vergütungsansprüche durchsetzen will. Dabei soll ihm eine so genannte vorläufige Zahlungsanforderung in Bausachen als Instrument einer schnellen Liquiditätsbeschaffung zur Verfügung gestellt werden. Gerade dieser Vorschlag muss aber nochmals besonders sorgfältig durchdacht werden, denn er läuft darauf hinaus, durch ein Schnellverfahren das Insolvenzrisiko des Bauhandwerkers dem Besteller aufzubürden, zumal diesem umgekehrt eine vorläufige Zahlungsanordnung nicht zustehen soll.
Am besten ist es natürlich, wenn man die Hilfe der Justiz erst gar nicht benötigt. In der Praxis wächst allmählich die Erkenntnis und Bereitschaft, im Konfliktfall auch andere Methoden der Streitbeilegung zu wählen. Es scheint so, als wachsen Schlichtung und Mediation im Bauwesen allmählich aus den Kinderschuhen heraus. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist insbesondere bei Großverfahren ohnehin schon etabliert. Inzwischen gehen sogar einzelne Gerichte dazu über, Bauprozesse nicht mehr nach den starren Regeln der Zivilprozessordnung, sondern im Rahmen eines Mediationsverfahrens zu lösen (sog. Göttinger Modell). Diese Entwicklung werden wir im Januar 2004 im Rahmen eines Gespräches mit Herrn Rechtsanwalt und Notar Franz W. Wiesel, Essen, beleuchten.
Darüber hinaus wird es im Januarheft weitere interessante IBR-Beiträge zu neuen BGH-Entscheidungen geben, hier seien nur einige genannt:
- Welche Rechte hat der Auftraggeber bei Mengenminderungen im Rahmen eines Pauschalpreisvertrages? (BGH vom 11.09.2003 – VII ZR 116/02)
- Kann der Auftraggeber in seinen AGB vereinbaren, dass er den Gewährleistungseinbehalt bar – also ohne Einzahlung auf ein Sperrkonto – behält, wenn er gleichzeitig dem Auftragnehmer die Möglichkeit einräumt, diesen durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft abzulösen? (BGH vom 13.11.2003 – VII ZR 57/02)
- Ist der Architekt an die vereinbarte Honorarzone II gebunden, wenn sich später herausstellt, dass die Honorarzone III einschlägig ist? Kann er dann das Mindesthonorar nach Honorarzone III verlangen? (BGH vom 13.11.2003 – VII ZR 362/02)
- Haftet der Architekt für einen Planungs- und Überwachungsfehler voll, wenn der Bauunternehmer diesen hätte erkennen können? (BGH vom 23.10.2003 – VII ZR 448/01)
- Kann sich der bauleitende Architekt gegenüber seinem Auftraggeber auf ein Mitverschulden wegen Fehlern des planenden Architekten berufen? (BGH vom 13.11.2003 – VII ZR 439/01)
Zunächst jedoch empfehle ich Ihnen die Lektüre aller Beiträge in diesem Heft. Schon jetzt wünsche ich Ihnen ein gutes und gesundes neues Jahr.
Mir freundlichen Grüßen
Dr. Alfons Schulze-Hagen
Herausgeber