Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 11/2016 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht stellt sich immer wieder die Frage, ob den Bieter bzw. Auftragnehmer bei auftraggeberseitiger Planung bereits in der Angebotsphase
Prüfungs- und Hinweispflichten treffen und - falls man dies bejaht - welche Rechtsfolgen ein unterlassener Hinweis nach sich zieht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf sich der Auftragnehmer grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Leistung richtig beschrieben ist. Er darf sich auch darauf verlassen, dass Details vollständig angegeben sind, soweit sich aus dem Vertrag nichts Abweichendes ergibt (BGH, Urteil vom 22.12.2011 - VII ZR 67/11 Rz. 17, IBRRS 2012, 0157; weitere Nachweise bei Kapellmann, in: ders./Messerschmidt, VOB, 5. Aufl., B § 2 Rz. 106). Deshalb muss (und kann) ein Bieter/Auftragnehmer die Ausschreibung in der Angebotsphase nur unter kalkulatorischen Gesichtspunkten prüfen. Eine besondere Prüfungs- und Hinweispflicht - wie sie sich nach Vertragsschluss etwa aus § 4 Abs. 3 VOB/B ergibt - besteht deshalb vor Vertragsschluss zumindest vom Grundsatz her nicht (siehe z. B. OLG Dresden, IBR 2013, 397, und OLG Koblenz, IBR 2010, 313). Etwas anderes soll jedoch dann gelten, wenn die Ausschreibung offenkundige, also quasi "ins Auge springende" Mängel enthält. Unterlässt der Auftragnehmer den in einem solchen Fall gebotenen Hinweis, ist der Bauvertrag nach Ansicht des OLG Naumburg zu Gunsten des Auftraggebers auszulegen und dem Auftragnehmer stehen keine Mehrvergütungsansprüche zu ( S. 628).
Nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 VOB/B ist der Auftragnehmer verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist hervortretenden Mängel, die auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu beseitigen, wenn es der Auftraggeber vor Ablauf der Frist schriftlich verlangt. Eine solche Mängelanzeige führt zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist für Mängelansprüche (§ 13 Abs. 5 Nr. 1 Satz 2 VOB/B). Dabei genügt es, wenn der Auftraggeber die Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Auftragnehmers zuordnet, genau bezeichnet (sog. Symptomtheorie, siehe statt vieler BGH, IBR 1992, 224). In diesem Fall sind immer alle Ursachen für die bezeichneten Symptome von der Mangelrüge erfasst. Das gilt auch, wenn die angegebenen Symptome des Mangels nur an einigen Stellen aufgetreten sind, während ihre Ursache und damit der Mangel des Werks in Wahrheit das ganze Gebäude erfasst. Darauf weist der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 24.08.2016 hin ( S. 633).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist eine Entscheidung des Kammergerichts insbesondere für Projektsteuerer von Bedeutung. Das Gericht geht nämlich der Frage nach, welche Aufgaben ein Projektsteuerer hat und wie sich diese zu den vom Objektplaner geschuldeten Architektenaufgaben abgrenzen. Nach Auffassung des Kammergerichts hängt dies von den getroffenen Vereinbarungen ab. Sie bestimmen nicht nur, ob der Vertrag eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat oder ob er als Dienst- oder Werkvertrag einzuordnen ist, sondern grenzen auch den Aufgabenbereich des Projektsteuerers von dem des Architekten ab. Werden dem Projektsteuerer keine Planungsaufgaben übertragen, muss er lediglich koordinierende, kontrollierende und überwachende Tätigkeiten erbringen, wie sie an sich dem Bauherrn obliegen. Deshalb haftet er z. B. nicht für Mehrkosten wegen einer unzureichenden Baugrunduntersuchung ( S. 649).
Zahlreiche öffentliche (Bau-)Aufträge werden mit EU-Mitteln gefördert. Da das Vergaberecht aber kompliziert und unübersichtlich ist, kommt es in der Praxis immer wieder zu Vergaberechtsverstößen. Dann sieht sich der öffentliche Auftraggeber mit der Rückforderung der gewährten Fördermittel aufgrund von "Unregelmäßigkeiten" konfrontiert. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof am 26.05.2016 klargestellt, dass EU-Fördermittel auch dann zurückzufordern bzw. zurückzuzahlen sind, wenn der öffentliche Auftraggeber bei der Auftragsvergabe "lediglich" gegen das nationale Unterschwellenvergaberecht verstoßen hat ( S. 655).
Der Erwerb einer Immobilie ist für den Käufer in der Regel mit einer größeren Investition und bisweilen mit dem Risiko eines Renovierungsstaus verbunden. Umsichtige Erwerber beauftragen deshalb vor dem Kauf einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Bauwerks. Wird auf Grundlage des Gutachtens die Kaufentscheidung getroffen und tritt der Käufer später wegen einer Pflichtverletzung des Verkäufers vom Vertrag zurück, wirft das die Frage auf, ob er die Kosten für die Beauftragung des Sachverständigen erstattet bekommt. Denn nach § 284 BGB kann der Gläubiger anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte. Allerdings gibt es zu dieser Problematik - soweit ersichtlich - keine einschlägige Gerichtsentscheidung und in der Literatur werden verschiedene Auffassungen vertreten. Nach der Entscheidung des OLG Hamm vom 04.07.2016 werden die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Vorbereitung der Investitionsentscheidung nicht als vergebliche Aufwendungen ersetzt ( S. 669). Obwohl das Gericht mit ¬seinem Urteil über eine Grundsatzfrage von erheblicher Bedeutung entschieden hat, hat es die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen.
In der Rubrik Prozessuales ist auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.08.2016 hinzuweisen, der sich mit der Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags befasst. Hat der Auftragnehmer nach der Kündigung prüfbar abgerechnet (hierzu BGH, IBR 2001, 55), muss das Gericht in die Sachprüfung eintreten, ob und in welcher Höhe die geltend gemachte Werklohnforderung berechtigt ist. Hat der Auftraggeber die Richtigkeit der Schlussrechnung substanziiert bestritten, ist hierüber Beweis zu erheben ( S. 677).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
RA Stephan Bolz
Schriftleiter