Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 7/2005 - Vorwort
Liebe Leserin,
lieber Leser,
den Paukenschlag in dieser Ausgabe finden Sie auf Seite 386. Das OVG Rheinland-Pfalz beschäftigt sich mit einem Vergabeverfahren zur Beschaffung von Lenkwaffen für Kriegsschiffe der Bundesmarine. Das hat auf den ersten Blick nichts mit dem Bauvergaberecht zu tun. Und doch haben Rüstungsvergaben und 98% der Bauvergaben eines gemeinsam: Für sie ist ein Vergaberechtsschutz nicht vorgesehen. Die sprunghafte Entwicklung des Bauvergaberechts bezieht sich - das wird oft übersehen - nur auf Vergaben oberhalb des Schwellenwertes von 5 Mio. Euro, die zahlenmäßig nur einen Anteil von ca. 2% aller Vergaben ausmachen. Auch in der anstehenden Vergaberechtsreform ist bislang nicht vorgesehen, dass der Vergaberechtsschutz auch auf Bauaufträge unterhalb der Schwellenwerte ausgedehnt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz bahnbrechend. Danach können Bieter alle staatlichen Auftragsvergaben, die nicht in den Anwendungsbereich des im GWB geregelten Vergaberechtsschutzes fallen, durch die Verwaltungsgerichte überprüfen lassen. Das hat das OVG nicht nur für Rüstungsbeschaffungen entschieden, sondern generell für den gesamten Bereich, in dem das GWB-Vergaberecht nicht anwendbar ist. In dem Ausschreibungs- und Vergabeverfahren bis zum Zuschlag (= Abschluss des privatrechtlichen Vertrages) sieht das OVG ein hoheitliches Verfahren, für welches es einen effektiven Rechtsschutz geben müsse. Diese These ist übrigens keineswegs neu. Bereits Prof. Dr. Broß, jetzt Richter am Bundesverfassungsgericht, vertritt sie (vgl. IBR 2003, 650). Dem Bundesverfassungsgericht liegt eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Saarbrücken ( IBR 2003, 558) vor, welches einen Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte abgelehnt hat. Es wird also spannend, wie sich der Gesetzgeber auf die neue Lage einstellen wird. Die Denkpause, die ihm mit den wahrscheinlichen Bundestagsneuwahlen eingeräumt wird, sollten die Referenten und Fachleute in den Ministerien intensiv nutzen. Ein Blick nach Sachsen und Österreich könnte hilfreich sein. Auf Druck des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes ( IBR 2001, 135) ist dort der Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte eingeführt worden. Den wirtschaftlichen Aufschwung, den Österreich in den letzten Jahren genommen hat, hat das offensichtlich nicht beeinträchtigt. Auch in Sachsen hat man gute Erfahrungen mit einem gerichtsähnlichen Rechtsschutz bei Bauvergaben ab 150.000 Euro gemacht. Schließlich muss der Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte nicht derselbe sein wie oberhalb der Schwellenwerte. So sollte man über Bagatellgrenzen sowie über vereinfachte Verfahren - z. B. nicht revisible Entscheidung durch den Einzelrichter - nachdenken.
Eine weitere "Paukenschlag"-Entscheidung finden Sie auf Seite 405. Es geht um eine wichtige mietrechtliche Frage, die für alle Projektentwickler und Investoren von größter Bedeutung ist. Zur Vermarktung eines Immobilienprojektes benötigt man langfristige Mietverträge. Es ist bekannt, dass es dafür strenge Formvorschriften gibt. Das OLG Dresden hat eine weitere Verschärfung eingeführt: Enthält der Mietvertrag keinen datumsmäßig festgelegten Mietbeginn (z. B.: "Mietbeginn bei Übergabe des bezugsfertigen Objekts"), so soll nicht die vereinbarte Laufzeit, sondern der Mietvertrag nur als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gelten. Folge: Der Mieter kann jederzeit kündigen. Das macht jede Rentabilitätsberechnung zur Makulatur und hat erhebliche Konsequenzen für die Finanzierbarkeit von Immobilienprojekten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, es liegt dem BGH vor. Gleichwohl muss es zwingend bei dem Abschluss langfristiger Mietverträge berücksichtigt werden.
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit. Nutzer von ibr-online wissen, dass sie nicht nur die Beiträge dieses Heftes, sondern ein Vielfaches an Informationen monatlich neu geboten bekommen. Hervorheben darf ich die beiden aktuellen Fachbeiträge von Biermann, Nachtragsberechnung nach § 2 Nr. 5 VOB/B, § 6 Nr. 6 VOB/B und § 642 BGB, sowie von Mrosek, Public Private Partnerships - Überlegungen zur Struktur eines PPP-Projektes.
Mit freundlichen Grüßen
RA Dr. A. Schulze-Hagen
Herausgeber/Geschäftsführer