Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.

Hervorzuhebende Urteile zum Öffentlichen Bau- & Umweltrecht
In den letzten 30 Tagen wurden folgende wichtige Entscheidungen im Volltext bei ibr-online eingestellt
Online seit 20. Juni
IBRRS 2022, 1869
VGH Bayern, Beschluss vom 12.05.2022 - 1 ZB 22.370
Eine Beseitigungsanordnung stellt die Unzulässigkeit des Vorhabens fest. Ein neuer, durch keine Sach- und Rechtsänderung ausgelöster Bauantrag kann nach rechtskräftiger Bestätigung der Beseitigungsanordnung diese Feststellung nicht mehr in Frage stellen.

Online seit 17. Juni
IBRRS 2022, 1853
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 10.06.2022 - 1 LA 107/21
1. Die aus einer Anbaubaulast (§ 5 Abs. 5 Satz 2 NBauO) resultierende Anbauverpflichtung bzw. das Bauverbot innerhalb der - nach dem Maß des grundsätzlich erforderlichen Grenzabstands zu bestimmenden - Anbauzone kann von der Bauaufsichtsbehörde nicht zwangsweise durchgesetzt werden, wenn die Baulast nicht mehr erforderlich ist, um baurechtsgemäße Zustände auf dem Grundstück des Baulastnehmers herzustellen.*)
2. Eine Anbaubaulast zielt mit Blick auf die Anforderungen des § 3 Abs. 1 bis 3 NBauO maßgeblich darauf ab, dass die nach städtebaulichem Planungsrecht fakultativ zulässige Grenzbebauung im Fall einer Bebauung des Bauwichs auf beiden Seiten der Grenze gleichmäßig erfolgt. Sie dient hingegen nicht dem Brandschutz.*)

Online seit 15. Juni
IBRRS 2022, 1847
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 10.06.2022 - 1 ME 46/22
1. Der für ein Gebäude i.S.v. § 2 Abs. 2 NBauO konstitutive Begriff der selbstständigen Benutzbarkeit ist auf funktionale und bautechnische Gesichtspunkte bezogen. Ein Gebäude muss selbst über diejenigen zentralen Merkmale verfügen, die nach seiner Zweckbestimmung zu einer ordnungsgemäßen Nutzung notwendig sind.*)
2. Nicht erforderlich ist, dass das Gebäude von benachbarten Bauten konstruktiv getrennt ist und demzufolge bei statischer bzw. baukonstruktiver Betrachtung für sich Bestand haben könnte. Erforderlich ist aber eine zumindest gedankliche Teilbarkeit in vertikaler Hinsicht; unter einem Dach oder auf einem Geschoss kann es keine verschiedenen eigenständigen Gebäude geben.*)
3. Der Begriff der selbstständigen Benutzbarkeit ist nicht mit dem Begriff der Autarkie zu verwechseln. Der Gebäudeeigenschaft steht es daher nicht entgegen, wenn sich mehrere Gebäude gemeinsame, auch baurechtlich notwendige Anlagen teilen. Erforderlich ist stets eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls. In die Wertung ist einzustellen, ob bei natürlicher Betrachtungsweise, in die die baukonstruktiven Merkmale der Bauausführung sowie das Erscheinungsbild und die Funktion der betrachteten Bauteile einzubeziehen sind, voneinander unabhängige Gebäude angenommen werden können (wie OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.10.2008 - 7 A 3096/07, IBRRS 2008, 3463 = BauR 2009, 231 = BRS 73 Nr. 118; Beschluss vom 07.09.2010 - 10 B 846/10, IBRRS 2010, 3991; Beschluss vom 03.09.2020 - 7 B 1143/20, IBRRS 2020, 3835).*)

Online seit 13. Juni
IBRRS 2022, 1767
VGH Bayern, Beschluss vom 13.05.2022 - 1 ZB 21.2603
1. Bei der Feststellung eines Bebauungszusammenhangs im sog. unbeplanten Innenbereich ist grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen.
2. Eine nicht genehmigte Bebauung ist nur zu berücksichtigen, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständigen Behörden mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden haben. Das gilt nicht nur im Rahmen eines Verfahrens gegen eine Beseitigungsanordnung, sondern auch im Genehmigungsverfahren.
3. Weicht der Bauherr bei der Ausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, nämlich ein "aliud" erstellt, erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre.
4. Als für die Identität eines Bauvorhabens wesentliche Merkmale sind Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild anzusehen. Ob eine Veränderung dieser für ein Vorhaben charakteristischen Merkmale die Identität von genehmigten und errichteten Vorhaben aufhebt, hängt vom Umfang der Abweichungen und der Bewertung ihrer Erheblichkeit im jeweiligen Einzelfall ab.
5. Ein planabweichend ausgeführtes Vorhaben ist allgemein ein "aliud", wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, neuerdings oder andere zusätzliche Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt.
6. Auf ein "aliud" weist auch hin, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der erteilten Baugenehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann.
