Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.

Hervorzuhebende Urteile zum Öffentlichen Bau- & Umweltrecht
In den letzten 30 Tagen wurden folgende wichtige Entscheidungen im Volltext bei ibr-online eingestellt
Online seit 12. August
IBRRS 2022, 2441
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.05.2022 - 2 L 6/21
1. Die Anordnung lediglich eines Teilrückbaus einer baulichen Anlage auf das nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans zulässige Maß setzt voraus, dass die Teilbarkeit der Anlage bautechnisch möglich und mit der vom Bauherrn bestimmten Funktion zu vereinbaren ist. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Behörde oder des Gerichts, sondern Sache des Betroffenen, eingehende Überlegungen zur Abhilfemöglichkeit des rechtswidrigen Zustands mit Blick auf eine Teilbeseitigung aufzuzeigen.*)
2. Die Festsetzung einer Grünfläche schließt im Rahmen der jeweiligen Zweckbestimmung der Grünfläche bauliche Anlagen nicht aus, wenn sie eine nur untergeordnete Bedeutung haben; von einer untergeordneten Bedeutung ist auszugehen, wenn die Anlage sowohl in funktioneller als auch in räumlich-gegenständlicher Hinsicht dienend zu- und untergeordnet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.10.2012 - 4 BN 36.12, ZfBR 2013, 178; Beschluss vom 11.04.2017 - 4 B 11.17, IBRRS 2017, 1978). An der erforderlichen Unterordnung fehlt es bei einem 11 m breiten, sich über die gesamte Länge einer Gebäudeaußenwand erstreckenden Holzsteg jedenfalls in räumlich-gegenständlicher Hinsicht.*)
3. Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 02.08.2021 - 9 ZB 21.182, BeckRS 2021, 22596).*)

Online seit 10. August
IBRRS 2022, 2389
VGH Bayern, Urteil vom 28.06.2022 - 2 N 20.757
1. Ob ein Bauleitplan erforderlich ist, richtet sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde, der insoweit ein weites Planungsermessen zukommt, innerhalb dessen sie ermächtigt ist, eine Städtebaupolitik entsprechend ihren städtebaulichen Vorstellungen zu betreiben.
2. Die Gemeinde ist demnach planungsbefugt, wenn sie hierfür hinreichend gewichtige städtebauliche allgemeine Belange ins Feld führen kann.
3. Bleibt die Frage nach dem „Warum“ des Einbezugs einer Fläche in den Bebauungsplan unbeantwortet, ist der Bebauungsplan diesbezüglich nicht erforderlich.

Online seit 8. August
IBRRS 2022, 2368
OVG Saarland, Beschluss vom 28.07.2022 - 2 B 139/22
1. Die Erteilung einer Teilbaugenehmigung setzt nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 1 LBO-SL eine Prüfung durch die Genehmigungsbehörde voraus, ob das Gesamtvorhaben bei einer vorläufigen summarischen Gesamtbetrachtung in seinen wesentlichen Zügen grundsätzlich genehmigungsfähig erscheint. Diese Regelung dient letztlich nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern vielmehr dem Schutz der berechtigten Interessen der Bauherrinnen und Bauherren, denen im weiteren Verfahren nicht mehr entgegengehalten werden kann, dass das zur Genehmigung gestellte Projekt insgesamt nicht genehmigungsfähig ist.*)
2. Für die Annahme einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aufgrund einer Unzumutbarkeit geplanter Bauten auf einem angrenzenden Grundstück ist unter dem Aspekt räumlicher Beengung und dergleichen im Regelfall kein Raum, wenn die der Sicherstellung einer ausreichenden Besonnung und Belüftung von Nachbargrundstücken und – nach der Integration der in früheren Fassungen der Landesbauordnung beziehungsweise einer eigenen Abstandsflächenverordnung (1974/80) vormals selbständig geregelten „Sozialabstände“ in die Vorschriften – der Gewährleistung des störungsfreien Wohnens zur Wahrung des Nachbarfriedens dienen Bestimmungen der §§ 7 und 8 LBO-SL über Abstände, insbesondere Grenzabstände eingehalten werden.*)
3. Der Außenbereich (§ 35 BauGB) ist kein "Baugebiet“ mit einem bestimmten Gebietscharakter, dessen Erhaltung nach den Grundsätzen eines individuellen Austausch- und Gegenseitigkeitsverhältnisses Ziel oder Gegenstand subjektiver Rechte privater Dritter sein könnte. Die Rechtsprechung zu den Gebietserhaltungsansprüchen im Bereich eines Bebauungsplans oder auf der Grundlage von § 34 Abs. 2 BauGB für faktische Baugebiete lässt sich daher nicht zur Verhinderung nicht privilegierter Vorhaben im Außenbereich – unabhängig von faktischen Betroffenheiten eines Nachbarn – in ihrem Sinne „nutzbar“ machen.*)
4. Auch der Eigentümer eines Grundstücks im Innenbereich kann gegenüber einer auf dem Nachbargrundstück im Außenbereich genehmigten Bebauung Rücksichtnahme auf seine Interessen im Rahmen einer Abwägung mit den Interessen des Bauherrn nur verlangen, wenn er über eine schutzwürdige Abwehrposition verfügt. Eine solche Position erlangt er nicht allein dadurch, dass die auf seinem Grundstück verwirklichte Nutzung baurechtlich zulässig, das auf dem anderen Grundstück genehmigte Vorhaben dagegen wegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange, die nicht dem Schutz privater Dritter zu dienen bestimmt sind, unzulässig ist (vgl. etwa OVG Saarland, Beschluss vom 04.07.2016 – 2 A 161/16 –, IBRRS 2016, 1816; grundlegend BVerwG, IBR 1994, 387).*)
5. In den Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für einen sich gegen ein Bauvorhaben wendenden Nachbarn ist für eine dem Hauptsacheverfahren entsprechende und dieses letztlich vorwegnehmende Sachverhaltsermittlung im Wege einer Beweisaufnahme durch Ortsbesichtigung grundsätzlich unabhängig von der Frage, ob diese verwaltungsprozessrechtlich zulässig wäre, in aller Regel kein Raum. Ein aus dem verfassungsrechtlichen Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG oder aus dem verwaltungsprozessualen Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO) ableitbares Erfordernis der verfahrensmäßigen „Vorwegnahme“ des Hauptsacheverfahrens, insbesondere hinsichtlich der Tatsachenermittlung, besteht insoweit regelmäßig nicht (vgl. dazu etwa auch OVG Saarland, Beschlüsse vom 09.01.2019 – 2 B 289/18 –, IBRRS 2019, 0560, und vom 27.09.2016 –, SKZ 2016, 246).*)
6. Das gilt erst Recht in Ansehung vom Nachbarn behaupteter Beschädigungen von Anlagen auf seinem Grundstück. Sofern durch einschlägige technische Normen missachtende Bauarbeiten öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, hat dies ebenso wenig wie eine von der Baugenehmigung abweichende Bauausführung Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung als solcher (vgl. dazu zuletzt, OVG Saarland, Beschluss vom 25.01.2022 – 2 B 268/21 –, IBRRS 2022, 2336).*)

Online seit 5. August
IBRRS 2022, 2337
VGH Bayern, Beschluss vom 30.06.2022 - 2 NE 22.1132
1. Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
2. Nicht erforderlich sind solche Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind.
3. Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. In einem Mischgebiet soll den Belangen der gewerblichen Wirtschaft in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung. Wohnen und gewerbliche Nutzung stehen gleichrangig und gleichwertig nebeneinander.
4. Ein Plangeber, der ein Mischgebiet festsetzt, muss das gesetzlich vorgesehene gleichberechtigte Miteinander von Wohnen und Gewerbe auch wollen oder zumindest sicher voraussehen, dass sich in dem fraglichen Gebiet eine solche Durchmischung einstellt.

Online seit 4. August
IBRRS 2022, 2336
OVG Saarland, Beschluss vom 25.01.2022 - 2 B 268/21
1. Sofern durch einschlägige technische Normen missachtende Bauarbeiten öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, hat dies ebenso wenig wie eine von der Baugenehmigung abweichende Bauausführung Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung. Eine Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung ist daher lediglich bei einer schon durch sie selbst als solcher begründeten Gefährdung der Standsicherheit von Nachbargebäuden oder der Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke anzunehmen.*)
2. In Nachbarrechtsbehelfsverfahren nach den § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen eine Baugenehmigung setzt der Erfolg eines solchen Begehrens im Rahmen einer prognostischen Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache über eine Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit, hinaus das voraussichtliche Vorliegen einer für den Erfolg jedes Nachbarrechtsbehelfs zwingend notwendigen Verletzung einer auch dem Schutz gerade des jeweiligen Rechtsbehelfsführers dienenden Vorschrift des materiellen öffentlichen Rechts voraus, die zudem von dem konkreten Entscheidungsumfang (hier nach § 73 Abs. 1, § 65 SL-LBO) umfasst wird.*)

Online seit 28. Juli
IBRRS 2022, 2269
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15.07.2022 - 1 MN 132/21
1. In innerörtlichen Lagen besteht grundsätzlich nicht die berechtigte Erwartung, die Nachbargrundstücke würden in einer Weise bebaut, die Einsichtsmöglichkeiten möglichst gering hält; im Gegenteil sind Einsichtsmöglichkeiten bei heute gängigen Grundstücksgrößen üblich und als sozial adäquat hinzunehmen.*)
2. Abwägungsfehlerhaft aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Planung erst dann, wenn die Nutzung einzelner Grundstücke empfindlich beschnitten wird, ohne dass es dafür einen sachlich einleuchtenden Grund gibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01, IBRRS 2003, 1958; ähnlich BVerwG, Beschluss vom 19.04.2000 - 4 BN 16.00).*)

Online seit 22. Juli
IBRRS 2022, 2210
VGH Hessen, Beschluss vom 11.05.2022 - 9 B 234/22
1. Es entspricht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, dass ein Schutzkonzept zur Vergrämung der Haselmaus von den Eingriffsflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen in der Regel eine vorherige Habitataufwertung des jeweiligen Anlagenumfelds zu umfassen hat.*)
2. Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen zu Gunsten verschiedener besonders geschützter Arten müssen zeitlich und inhaltlich kohärent sein.*)
