Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 02/2021 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht muss der Auftragnehmer – unabhängig davon, ob die VOB/B Vertragsgrundlage ist oder nicht (vgl. OLG Naumburg, IBR 2014, 609) – dem Auftraggeber (schriftlich) Bedenken u. a. gegen die Beschaffenheit der Vorleistung eines anderen Unternehmers mitteilen. Andernfalls haftet er selbst dann für Mängel seiner Leistung, wenn diese auf eine mangelhafte Fremdleistung zurückzuführen sind (s. § 13 Abs. 3 VOB/B). Deshalb muss etwa ein Fliesenleger auf die Ungeeignetheit der Beschaffenheit des Untergrunds, z. B. bei zu feuchten Ansetz- und Verlegeflächen, hinweisen (s. ATV DIN 18352 Abschnitt 3.1.1). Nach Ansicht des OLG Düsseldorf ist ein Auftragnehmer aber nicht nur dazu verpflichtet, auf die fehlende Eignung einer Vorunternehmerleistung für sein Gewerk hinzuweisen, sondern auch darauf, dass seine Leistung keine geeignete Grundlage für das Nachfolgegewerk ist. Demzufolge hat ein Fensterbauer den mit den nachfolgenden Innenputzarbeiten beauftragten Unternehmer über die Verwendung von Innenbändern mit versetztem Drehpunkt und eine von der Planung abweichende Verklebung der Winddichtigkeitsfolie zu informieren, wenn dies dazu führt, dass der Putzauftrag den Öffnungswinkel der Fenster beeinträchtigt ( S. 63).
Weist die Leistung des Auftragnehmers Mängel auf, kann der Auftraggeber zwischen den verschiedenen Mängelrechten wählen. Verlangt er Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, hat er weiterhin das Recht, Kostenvorschuss zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will. Wird der Vorschussanspruch aber erst Jahre nach dem Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht, stellt sich die Frage, ob der Auftragnehmer insoweit die Einrede der Verjährung erheben kann. Der Bundesgerichtshof hat sie in seiner Entscheidung vom 19.11.2020 dahingehend beantwortet, dass sich die Hemmung der Verjährung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen des Mangels eines Werks auch auf den Vorschussanspruch erstreckt. Diese Hemmung ist auch dann nicht auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs beschränkt, wenn dessen Verjährungshemmung durch die Geltendmachung einer Aufrechnung des Anspruchs im Prozess herbeigeführt wurde ( S. 70).
Im Recht der Bausicherheiten ist auf eine Entscheidung des OLG München zur Angemessenheit einer Frist zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung gem. § 648a BGB a.F. (§ 650f BGB) gegenüber einer Wohnungseigentümergemeinschaft besonders hinzuweisen. Nach der Gesetzesbegründung reicht in der Regel eine Frist von sieben bis 10 Kalendertagen aus (s. OLG Düsseldorf, IBR 2019, 427). Maßgeblich sind jedoch die Umstände des Einzelfalls (BGH, IBR 2018, 75). Aufgrund der innerhalb der Gemeinschaft erforderlichen Willensbildung hält das Gericht sogar eine Frist von acht Wochen für angemessen ( S. 73).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist nach der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 ( IBR 2019, 436) umstritten, ob das Preisrahmenrecht der HOAI 2009/2013 in einem Vertrag zwischen einem nicht öffentlichen Auftraggeber und einem Architekten bzw. Ingenieur nach wie vor verbindlich ist (s. z. B. KG, IBR 2020, 296, einerseits, und OLG Düsseldorf, IBR 2019, 622, andererseits, sowie BGH, IBR 2020, 352, der zu dieser Frage den EuGH angerufen hat). Nicht entschieden war –soweit ersichtlich – bis dato, ob das EuGH-Urteil vom 04.07.2019 auch Auswirkungen auf das verbindliche Preisrahmenrecht der HOAI 1996, die 2002 lediglich auf Euro umgestellt wurde, hat. In seiner Entscheidung vom 09.12.2020 hat das OLG diese Frage mit der Begründung verneint, dass die EU-Dienstleistungsrichtlinie erst am 12.12.2006 erlassen wurde und bis zum 28.12.2009 umzusetzen war. Auf einen vor dem 28.12.2009 geschlossenen Architekten- oder Ingenieurvertrag finde die Richtlinie somit keine Anwendung, Gründe, der Dienstleistungsrichtlinie bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist Rechtswirkungen zukommen zu lassen, seien nicht ersichtlich. Auch sei ihr keine rückwirkende Kraft beigelegt worden ( S. 83).
Im Vergaberecht können öffentliche (Bau-)Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden, wenn u. a. äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht verursacht hat und nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die in den einschlägigen Vergabeverordnungen vorgeschriebenen Fristen einzuhalten (s. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, und § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A 2019). Die Corona-Pandemie beispielsweise ist ein solches Ereignis (VK Bund, IBR 2020, 658). Nach Ansicht des OLG Rostock rechtfertigt allerdings das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen allein kein gänzliches Absehen von einer Vergabe nach wettbewerblichen Grundsätzen. Das auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen nötigt vielmehr dazu, grundsätzlich auch in den Fällen der Notvergabe zumindest mehrere Angebote einzuholen und damit wenigstens „Wettbewerb light“ zu eröffnen. Nur als Ultima Ratio kommt eine Direktvergabe an einen von vorneherein alleinig angesprochenen Marktteilnehmer in Betracht. Wird kein „Wettbewerb light“ eröffnet, ist die „konkurrenzlose“ Direktbeauftragung eines von vorneherein exklusiv angesprochenen Unternehmens ermessensfehlerhaft, was zur Unwirksamkeit des Vertrags (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB) führt ( S. 88).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Verleger und Schriftleiter der IBR