VPR 2022, 93
VPR 2022, 93

Darf der Bieter von sich auf fehlende Unterlagen nachreichen?

1. Ein Bieter darf nur dann von sich aus z. B. fehlende Unterlagen nachreichen, wenn der Auftraggeber ihn hierzu hätte auffordern müssen. In diesem Fall kommt der Bieter der zulässigen Aufforderung des Auftraggebers durch sein Verhalten lediglich zuvor.
2. Hat der Auftraggeber nachgeforderte Referenzen inhaltlich geprüft und für unzureichend erachtet, darf er den Bieter kein weiteres Mal zur Nachreichung von Referenzen auffordern.
3. Eine Nachforderung ist nur bei fehlenden, also in formaler Hinsicht nicht den ausgeschriebenen Anforderungen entsprechenden Unterlagen möglich, jedoch nicht, wenn diese Unterlagen in inhaltlicher Hinsicht nicht passen.

VK Bund, Beschluss vom 11.03.2022 - VK 1-23/22

VOB/A 2019 §§ 16a EU, 16b EU

Problem/Sachverhalt

Ein Auftraggeber (AG) forderte in einem europaweiten offenen Verfahren drei Mindestreferenzen. Bieter B fügte seinem Angebot keine Referenzen bei. Daraufhin forderte der AG die fehlenden Referenzen nach. B reichte sodann neun Referenzen nach. Allerdings erfüllte nur eine dieser Referenzen die Anforderungen an die Mindestreferenzen. Dies teilte der AG dem B mit. Daraufhin reichte B unaufgefordert noch innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist sechs weitere Referenzen ein. Diese Referenzen erfüllten die Mindestanforderungen. Der AG schloss B jedoch vom Verfahren aus, da er die weiteren eingereichten Referenzen nicht berücksichtigen dürfe. Daraufhin reichte B einen Nachprüfungsantrag ein.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Vergabekammer (VK) entschied, dass das Angebot die Mindestanforderungen an die Referenzen nicht erfüllte. Der AG hatte die weiteren nachgereichten sechs Referenzen zu Recht nicht berücksichtigt. Der Nachforderungsvorgang sei durch die zunächst nachgereichten neun weiteren Referenzen abgeschlossen gewesen. Daher lief nach Ansicht der VK auch die zunächst gesetzte Nachforderungsfrist nicht mehr. Davon abgesehen sei B zudem nicht berechtigt gewesen, unaufgefordert weitere Referenzen nachzureichen. Es gelte ein Kontaktaufnahmeverbot für die Bieter. Etwas anderes könne nur gelten, wenn ein Auftraggeber verpflichtet sei, Unterlagen nachzufordern. So lag es hier jedoch aus Sicht der VK gerade nicht. Die zunächst nachgereichten neun Referenzen erfüllten die Mindestanforderungen nicht. Eine Berücksichtigung der sechs weiteren eingereichten Referenzen hätte somit zu einer vergaberechtlich unzulässigen inhaltlichen Nachbesserung des Angebots geführt.

Praxishinweis

Die Frage, ob Bieter innerhalb der Nachforderungsfrist ein weiteres Mal Unterlagen nachreichen dürfen, wenn die zunächst nachgereichten Unterlagen die gesetzten Anforderungen nicht erfüllen, wurde bislang nicht obergerichtlich entschieden. Mit einer überzeugenden Argumentation lehnt die VK einen "zweiten Versuch" der Bieter ab. So hatte auch die VK Südbayern im Jahr 2019 zu einer ähnliche Konstellation entschieden (Beschluss vom 27.02.2019 - Z3-3-3194-1-44-11/18, VPRRS 2019, 0214). Die VK Südbayern stellte u. a. darauf ab, dass auch die ursprünglich eingereichten Angebote nicht inhaltlich nachgebessert werden dürfen, wenn zunächst unzureichende Referenzen eingereicht werden. Somit gilt auch in dieser Konstellation der Grundsatz, dass Auftraggeber im Rahmen einer Nachforderung kein inhaltliches Nachbessern von Angeboten zulassen dürfen.

RA Lars Lange, LL.M., Berlin

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