Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 11/2021 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht nach VOB/B ist der Einheitspreis gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B bei einer über 10% hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen für die tatsächlich ausgeführte Menge der Leistung oder Teilleistung zu erhöhen, soweit der Auftragnehmer nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) oder in anderer Weise einen Ausgleich erhält. Die Erhöhung des Einheitspreises soll im Wesentlichen dem Mehrbetrag entsprechen, der sich durch Verteilung der Baustelleneinrichtungs- und Baustellengemeinkosten und der Allgemeinen Geschäftskosten auf die verringerte Menge ergibt. Diese Regelung trägt dem Risiko Rechnung, dass die Mengenschätzung naturgemäß ungenau sein kann und die tatsächlichen Gegebenheiten auf der Baustelle insofern nicht genau erfasst worden sein können (vgl. BGH, IBR 2012, 188). Allerdings bleiben Faktoren, die nicht Bestandteil der Berechnung des ursprünglichen Einheitspreises sind – wie etwa ein vom Auftragnehmer kalkulierter Verwertungserlös –, bei dessen Anpassung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B unberücksichtigt, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 10.06.2021 ( S. 562).
Nach der Ansicht einiger Oberlandesgerichte soll dem Auftragnehmer kein Anspruch auf Mehrvergütung zustehen, wenn er einen (evidenten) Fehler in den Ausschreibungsunterlagen erkennt und er den Auftraggeber hierauf nicht vor Angebotsabgabe hinweist (siehe z. B. OLG Celle, IBR 2017, 300). Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung hat das OLG Naumburg entschieden, dass der Auftraggeber berechtigt ist, den Bauvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn der (spätere) Auftragnehmer bereits bei der Abgabe seines Angebots feststellt, dass eine im Leistungsverzeichnis vorgegebene Teilleistung aus technischer Sicht ungeeignet ist und er seinem Angebot eine andere Teilleistung zu Grunde legt, um den Zuschlag zu erhalten ( S. 564).
Eine derartige Sichtweise ist gleich aus mehreren Gründen nicht zwingend (ausführlich Bolz, NZBau 2021, 83 ff.). Zunächst dürfte sie auf einer Fehlinterpretation der sog. Universitätsbibliotheks-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.06.1987 (NJW-RR 1987, 1306) beruhen, die von den Instanzgerichten als Begründung für die Versagung einer Mehrvergütung bei erkennbar fehlerhafter Leistungsbeschreibung herangezogen wird. In seinem Urteil vom 25.06.1987 hat der Bundesgerichtshof u. a. ausgeführt, dass „der Auftragnehmer ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen (darf), sondern (...) sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären“ (muss), und dass er sich nicht mit einer mehr oder weniger „in’s Blaue“ angenommenen Ausführungsart begnügen darf, wenn „die ihm überlassenen Unterlagen für eine zuverlässige Kalkulation der einschlägigen Positionen nicht genügten“. Die Ausschreibung war also in dem der Universitätsbibliotheks-Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht lückenhaft im Sinne von technisch unvollständig, sondern kalkulatorisch unklar. Dass der Auftragnehmer in einem solchen Fall nachfragen muss, wenn er kein unkalkulierbares Risiko eingehen will (siehe z. B. BGH, IBR 1992, 349 – „Wasserhaltung I“, und BGH, IBR 1996, 487 – „Kammerschleuse“), ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und hat mit einem Verlust des Vergütungsanspruchs bei erkennbar lückenhafter, im Sinne von technisch unvollständiger Leistungsbeschreibung nichts zu tun. Hinzu kommt, dass dem Auftragnehmer nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs gleichwohl ein Anspruch auf Mehrvergütung zusteht, wenn er einen Ausschreibungsfehler positiv erkennt und diesen sogar zu seinen Gunsten ausnutzt. Eine Grenze ist allerdings dann erreicht, wenn es zu Mengenmehrungen oder Zusatzleistungen kommt und die nach § 2 Abs. 3 bis 6 VOB/B zu bestimmende Mehrvergütung sittenwidrig ist (vgl. BGH, IBR 2013, 330; IBR 2013, 329; IBR 2009, 128). In solchen Fällen steht dem Auftragnehmer gleichwohl ein Anspruch auf Mehrvergütung zu, wenn auch (nur) in Höhe der ortsüblichen Vergütung (s. BGH, IBR 2009, 127, 128). Schließlich sollte in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des Vergaberechtssenats des Bundesgerichtshofs nicht unberücksichtigt bleiben, wonach die Erteilung des Zuschlags auf ein von einem Kalkulationsirrtum beeinflusstes Angebot zwar einen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden Bieters darstellen kann, die Schwelle zu einem solchen Pflichtenverstoß aber erst überschritten ist, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bauleistung zu begnügen (BGH, IBR 2015, 84). Warum sollen im umgekehrten Fall für einen Bieter, der einen Ausschreibungsfehler erkennt, andere Maßstäbe gelten?
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist eine Entscheidung des KG hervorzuheben, die sich mit der Frage der Verjährung von Rückforderungsansprüchen nach der Überzahlung von Abschlagsrechnungen befasst. Das KG weist darauf hin, dass der Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Architektenhonorars in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjährt und die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegen. Bei Rückforderungen geleisteter Zahlungen aus einzelnen Teilrechnungen handelt es sich um jeweils eigenständige Forderungen, für die jeweils eigenständige Verjährungsfristen gelten ( S. 580).
Im Vergaberecht muss der Auftraggeber auch den unangemessen niedrigen Preis eines Nebenangebots ordnungsgemäß aufklären. Die Aufklärung muss darauf gerichtet sein, eine „gesicherte Erkenntnisgrundlage“ zu schaffen, und hat sich insofern auf die „bedeutsamen Einzelfallumstände” zu erstrecken. Ziel der Aufklärung ist es, eine Prognose zu treffen, ob der Bieter zum angebotenen Preis voraussichtlich ordnungsgemäß und vertragsgerecht wird leisten können. Folglich sind bloße oberflächliche Begründungen oder die unkritische Übernahme von Erklärungen des Bieters für die Annahme einer ordnungsgemäßen Preisprüfung nicht ausreichend. Das betont die VK Berlin in ihrem Beschluss vom 13.07.2021 ( S. 592).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Verleger und Schriftleiter der IBR