Bau-, Architekten- und Immobilienrecht.
IBR 12/2019 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht gibt es vielfach Vertragsgestaltungen, die keinem gesetzlichen Vertragstypus in Reinform entsprechen. Als Beispiel kann der Gerüstbauvertrag dienen, der sowohl miet- als auch werkvertragliche Elemente enthält (siehe BGH, IBR 2013, 339, und OLG Hamm, IBR 2014, 197). Haben die Baubeteiligten einen solchen typengemischten Vertrag oder sogar einen Vertrag eigener Art, der im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, geschlossen, stellt sich mitunter die Frage, welche Vorschriften auf das Vertragsverhältnis Anwendung finden, wenn es beispielsweise um Streitigkeiten über die Vergütung oder die Mängelhaftung geht. Wie eine Vereinbarung rechtlich zu qualifizieren ist, hängt von der Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen im Einzelfall ab. Im Streitfall muss ein Vertrag nach Ansicht des OLG München aber nicht zwingend einer eingehenden rechtsdogmatischen Untersuchung unterzogen werden, um ihn einem gesetzlichen Vertragstyp zuordnen und entsprechende Rechtsfolgen ableiten zu können. Enthält der Vertrag eine Anspruchsgrundlage und sind die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, kann die betreffende Partei ihre Rechte allein aus dem Vertrag geltend machen. Die theoretische Zuordnung zu einem gesetzlich vertypten Vertrag spielt in einem solchen Fall keine Rolle ( S. 658).
Nach § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B ist der Auftragnehmer verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist hervortretenden Mängel, die auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu beseitigen, wenn es der Auftraggeber vor Ablauf der Frist schriftlich verlangt. Der Auftragnehmer muss den Mangel also (mit-)verursacht haben. Das Eindringen von Feuchtigkeit entlang dem unteren Anschluss der Sohlplatte an das aufstehende Mauerwerk stellt deshalb keinen Mangel dar, wenn der Auftragnehmer die Abdichtung bei den ihm vorgegebenen Geländemaßen nach den anerkannten Regeln der Technik ausgeführt hat und die Durchfeuchtung auf eine von den Vorgaben abweichende Anschüttung des Außengeländes durch einen anderen Unternehmer zurückzuführen ist. Darauf weist das OLG Celle hin ( S. 666).
Im Bauträgerrecht ist die Entscheidung des KG vom 20.08.2019 hervorzuheben, die sich mit der Problematik der Besitzübergabe durch einstweilige Verfügung befasst. Nach Auffassung des KG besteht ein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Bauträger, die bezugsfertig hergestellte Wohneinheit dem Erwerber zu übergeben, wenn auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zuverlässig erkennbar ist, dass nach dem materiellen Recht ein dahingehender Anspruch des Erwerbers einredefrei besteht und der Bauträger die Erfüllung unberechtigt verweigert hat. Das gilt selbst dann, wenn der Erwerber die Wohneinheit nicht selbst bewohnen, sondern vermieten will. Denn der Verfügungsgrund resultiert nicht aus der beabsichtigten Eigennutzung des Erwerbers, sondern aus der finanziellen Belastung, die ein Bauträgervertrag und eine eventuelle Ersatzbeschaffung für den Erwerber mit sich bringen ( S. 675).
Im Recht der Architekten und Ingenieure ist auf den Beschluss des OLG München vom 08.10.2019 hinzuweisen ( S. 680), wonach in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten die Regelungen der HOAI zur Verbindlichkeit von Mindest- und Höchstsätzen auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 ( IBR 2019, 436) weiterhin anzuwenden sind (so auch OLG Hamm, IBR 2019, 503). Das sehen z. B. das OLG Celle ( IBR 2019, 563) und das OLG Düsseldorf ( IBR 2019, 622) anders. Eine einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht (noch) aus. Bis dahin muss die Praxis mit erheblichen Rechtsunsicherheiten leben. Denn auch die Frage, ob derzeit anhängige Verfahren ausgesetzt oder dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden können bzw. müssen, ist umstritten (siehe dazu LG Baden-Baden, IBR 2019, 385, einerseits, und LG Stuttgart, IBR 2019, 113, andererseits).
Im Vergaberecht kommt es gelegentlich - etwa aufgrund eines Vergabenachprüfungsverfahrens - zu einer verzögerten Zuschlagserteilung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfolgt der Zuschlag in einer derartigen Konstellation auch dann zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können. Der so zu Stande gekommene Bauvertrag ist ergänzend dahin auszulegen, dass die Bauzeit und der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen sind ( IBR 2013, 310 ff.). Fraglich ist, ob etwas anderes gilt, wenn im Zuschlagsschreiben ausdrücklich neue Vertragstermine festgelegt werden. Dem OLG Naumburg zufolge liegt darin eine Ablehnung des Bieterangebots verbunden mit dem Antrag auf Abschluss eines anderen Bauvertrags. Bedankt sich der Bieter für die Zuschlagserteilung und erklärt er, die neuen Vertragsfristen noch nicht bestätigen zu können, nimmt er das Angebot des Auftraggebers nicht an, so dass kein Vertrag zu Stande kommt ( S. 687). Gegen das Urteil wurde Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt (Az. VII ZR 144/19).
In der Rubrik Prozessuales ist schließlich der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 04.09.2019 von besonderer praktischer Bedeutung. Der Bundesgerichtshof betont erneut, dass ein Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen hat. Zweifel i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich um eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht ( S. 710).
Auch alle anderen Beiträge empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Verleger und Schriftleiter der IBR