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Es wäre zu schön gewesen ...

In seinem Beitrag zur Festschrift für Ulrich Locher zum 65. Geburtstag geht Kniffka der Frage nach, ob die im Anschluss an die Auslegung des § 642 BGB in der Entscheidung BGH "Entschädingungsdauer" vom 26.10.2017 (VII ZR 16/17) gemeinhin als Gerechtigkeitslücke wahrgenommene Lücke im Gesetz geschlossen werden kann. Bereits im Titel "Vorunternehmerverzögerung - Keine befriedigende Lösung in Sicht" wird die Hoffnung der Praxis zerstreut, § 642 BGB könne dem durch verzögerte Vorunternehmerarbeiten benachteiligten Auftragnehmer als genereller Auffangtatbestand dienen, mit dem alle Nachteile ausgeglichen werden können und nicht nur jene, die ihm
in der Zeit des Annahmeverzugs entstehen.

Das in BGH "Vorunternehmer I" aus dem Jahr 1985 (VII ZR 23/84) als "dramatisch ungerecht empfundene Ergebnis", wie sich Kniffka aufgrund einer Äußerung von Kraus (BauR 1986, 17) erinnert, ist durch BGH "Vorunternehmer II" vom 21.10.1999 (VII ZR 185/98) entgegen lange Zeit verbreiteter Auffassung nicht nachhaltig geändert worden. Kniffka zu BGH "Entschädigungsdauer" in der Festschrift für Locher, 187, 193:

In seiner sorgfältigen Analyse habe der BGH den Willen des Gesetzgebers herausgearbeitet,

nur eine Kompensation für die Zeit des Annahmeverzugs zu gewähren. Damit ist die Erwartung vieler enttäuscht worden, § 642 BGB sei eine Auffangnorm für alle Nachteile aus einer Behinderung des Auftragnehmers. Dabei soll nicht verhehlt werden, dass diese Erwartung durch die Entscheidung vom 21.10.1999 und anschließende Kommentierungen genährt worden ist. [...] Es wäre zu schön gewesen, weil dann das als ungerecht empfundene Endergebnis, nach dem der Auftragnehmer auf einem Teil seiner Mehrkosten ohne Kompensation sitzen bleibt, vermieden worden wäre.
Es wäre zu schön gewesen, aber den Ausführungen des BGH zum Verständnis des § 642 BGB lasse sich nichts entgegenhalten. Es sei nun einmal so, dass
die Rechtsprechung an den Willen des Gesetzgebers gebunden ist, mag der, auch über hundert Jahre alt, unter anderen Umständen entwickelt worden sein und zu Ergebnissen führen, die dieser möglicherweise so gar nicht gewollt hat.
Die wechselvolle Geschichte des Entschädigungsrechts gem. § 642 BGB zeichne ich in Nachträge und Nachtragsprüfung nach, darin letztlich den spätestens seit 2017 sehr weitgehend einschränkenden Nachteilsausgleich beim Annahmeverzug, zurückgehend auf BGH-Rechtsprechung und das diese vorbereitende Wirken einer kleinen Gruppe von Baurechtspersönlichkeiten. Die im Jahr 1985 mit BGH "Vorunternehmer I" (VII ZR 23/84) begonnene und seitdem um sich selbst kreisende Lösungssuche für Behinderungen aus Verspätungen bei Vorunternehmerleistungen bleibt mit den jüngsten Entschädigungsentscheidungen des BGH (VII ZR 16/17, VII ZR 33/19) weiter ohne gerechte Antwort.

Die "Gerechtigkeitslücke" im deutschen Recht wird in Nachträge und Nachtragsprüfung in einer beispielhaften Bauablaufanalyse für das Auge sichtbar.

Die 4. Auflage von Nachträge und Nachtragsprüfung wird beim Werner Verlag am 15.11.2022 erscheinen.



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 19.09.2022 um 17:35 Uhr)

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