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Gestörter Bauablauf: Darlegung von Behinderungsfolgen und missverstandenes "Aschenputtel"-Prinzip

Schelte für baubetriebliche Gutachter scheint mittlerweile schick zu sein. Der Begriff "konkrete bauablaufbezogene Darstellung" sei zum Zauberwort in der Auseinandersetzung über gestörte Bauabläufe geworden. Gerade in der Baubetriebsliteratur habe sich dazu ein "erstaunlicher Ideenreichtum" entwickelt (Leinemann, NZBau 2009, 563, 564). In der Beurteilung juristischer Prämissen und Interpretation der einschlägigen Rechtsprechung und juristischen Fachliteratur lägen "häufig gravierende Fehlerquellen baubetrieblicher Gutachten" (a.a.O., 567).

Oder, um nur ein weiteres Beispiel von vielen zu nennen: Kapellmann weist durchaus auch nicht zu Unrecht darauf hin, in der Praxis hielten Gutachter zwar einleitend fest, eine abstrakte Schadensberechnung sei unzulässig, um "sodann einen rein hypothetischen 'Schadensnachweis' so vorzulegen, wie sich die Störungen 'eigentlich' hätten auswirken müssen, ohne irgendeinen konkreten Störungszusammenhang anhand einer Dokumentation darlegen zu können" (Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, VOB/B § 6 Rdn. 79).

Eines ist klar, wenn auch vielleicht nicht hinreichend verbreitet:

Im Vortrag der Behinderungsereignisse und ihrer Wirkungen im Bauablauf sind nur solche Ereignisse relevant, die tatsächlich hindernde Wirkungen entfaltet haben (kein Anspruch ohne Behinderung!). Und die Behinderungsereignisse müssen nachweislich eine Dauer "größer Null" haben. Behinderungsereignisse und Dauer der Behinderungen sind anspruchsbegründend ohne Beweiserleichterung darzulegen. Eine gewisse Beweiserleichterung und ein gewisser Schätzspielraum kommen erst beim Vortrag der einen Anspruch ausfüllenden "weiteren" Folgen einer Behinderung in Betracht. Weil dazu wenigstens plausible und nachvollziehbare Anhaltspunkte aufzubereiten sind, gilt es aufzuzeigen, an welchem Vorgang (Aktivität im Bauablauf) eine bestimmte Behinderung "angriff" und welche Wirkung sie bei der Aktivität tatsächlich entfaltete. Die an der Wirklichkeit zu orientierende Betrachtung am einzelnen Vorgang kann eine Veränderung der Vorgangsdauer (zumeist Verlängerung), eine Startverschiebung oder Unterbrechung des Vorgangs oder auch eine veränderte Kapazität bei der Ausführung des Vorgangs ergeben. Anschließend ist die Wirkung der Veränderung des einzelnen Vorgangs im Kontext des Bauablaufs zu betrachten. Um auch diesen Vortrag konkret zu halten, und zwar für die wesentlichen Behinderungsereignisse -- nicht alle Details sind für die Rechtsfolgen wichtig! --, gilt es, den nachweislich auskömmlichen und fehlerfreien, hypothetischen Bauablauf unter Hinwegdenken der gerade im Fokus befindlichen Behinderung Ereignis für Ereignis (Schritt für Schritt) bei jeweiliger Orientierung am IST (der Wirklichkeit, das heißt: dessen, was wirkte) unter Beachtung des kritischen Wegs zu modifizieren.

Noch einmal, weil es so wichtig ist: Die Ergebnisse der Störungsmodifikation, auch ihre Zwischenergebnisse, müssen den tatsächlichen Bauablauf nachbilden. Rechnerische Fortschreibungen unter Anwendung der Netzplantechnik sind suspekt. Sie liefern in der Regel von der Wirklichkeit abweichende und unzulässig abstrakte Ergebnisse.

Um es deutlich zu sagen:

Die eingangs erwähnten Beobachtungen von Juristen mögen im Einzelfall zutreffen. Ein weiteres Zeugnis von Missverständnissen, dieses Mal aus juristisch fraglos berufendem Munde, gibt die Äußerung, der Bundesgerichtshof habe unter dem Begriff "konkrete bauablaufbezogene Darstellung" eine Darlegung der Behinderungen und ihrer Wirkungen dahin verstanden, es seien (nur) Störungen vorzutragen, die in die Verantwortungssphäre des Auftraggebers fallen (NZBau 2009, 563, 564). Weit gefehlt: Wer nach dem "Aschenputtel"-Muster (Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen) vorgeht, erhält zwangsläufig die gerade unerwünschten abstrakten und auf Fiktionen beruhenden Ergebnisse. Das Konkrete, nämlich die Wirklichkeit (noch einmal: das, was wirkt!), lässt sich in einer Bauablaufanalyse nur darstellen, wenn die Behinderungsbeiträge grundsätzlich beider Vertragsseiten ins Auge gefasst werden.

Wer aber die Behinderungsbeiträge des Auftragnehmers für seinen Vortrag heraussortiert, zeigt lediglich die "Guten im Töpfchen". Das ist nicht nur eine Verkürzung dessen, was die Gebrüder Grimm aufgeschrieben haben. Es ist auch keineswegs das, was der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung unter einem konkreten Nachweis der Behinderungsfolgen verstanden haben will. Schließlich wird eine auf Lösung des Konflikts abzielende Auseinandersetzung der berechtigten Interessen bei gestörten Bauabläufen zumindest erschwert.



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 10.09.2009 um 19:18 Uhr)

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