Formblatt 221 und das aufzugliedernde Wagnis im W + G, oder: Von Unfug und nicht eröffneten Baustellen
Öffentliche Auftraggeber verlangen seit 2018 im EFB-Formblatt 221, das Wagnis (W) im gemeinsamen Zuschlag für Wagnis + Gewinn (W + G) getrennt als leistungsbezogenes und betriebsbezogenes Wagnis auszuweisen. Diese Differenzierung erscheint mir, um es milde auszudrücken, eher künstlich. Etwas grober: Das Verlangen der Differenzierung des Wagnis nach leistungsbezogenem und betriebsbezogenem Wagnis beruht auf Unkenntnis und Unerfahrenheit. Der gemeinsame Zuschlag für W + G ist nichts anderes als Gewinn. Das ist nach langer Zeit des Irrens auch beim BGH angekommen; siehe BGH "Freie Kündigung, Wagnis II" vom 24.03.2016 - VII ZR 201/15 (IBR 2016, 332). Verstanden wurde dort auch, dass "W" im Zuschlag W + G das allgemeine unternehmerische Risiko, wie etwa aus Schwankungen aus der Nachfrage nach Bauleistung, langfristig vorsorgend zu decken sucht. Aus diesem "W" im W + G einen leistungsbezogenen Anteil herausdifferenzieren zu lassen, halte ich schlicht für Unfug. Kein Unternehmer kalkuliert so.
Unfug auch, weil der W + G-Begriff so nicht angelegt ist. Leistungsbezogenes Wagnis wird vielmehr, dem Verursachungsprinzip folgend, irgendwo bei den Selbstkosten, eher noch bei den Baustellengemeinkosten, noch eher bei den Einzelkosten der von dem spezifischen Risiko betroffenen Positionen kalkuliert. Leistungsbezogenes Wagnis ist ein spezifisches Risiko. Beispiel: Niedrigwasser-Risiko beim Ausbau einer natürlichen Wasserstraße.
Schließlich: W + G lassen sich überhaupt nicht trennen.
Alles eher Theorie der Kalkuation?
Ja, durchaus naheliegend. Denn ein Unternehmer kalkuliert seine Angebotspreise oft überhaupt nicht, sondern setzt Preise ins Blankett ein, mit denen er meint, im Wettbewerb bestehen zu können. Ein öffentlicher Auftraggeber, dieses latente Wissen geradezu systematisch übergehend, sich stattdessen kleinlich auf eine Differenzierung des "W" kaprizierend, und sich als Ersatz für die Angebots-/Auftragskalkulation EFB-Preis vorlegen lässt, sich von der Unternehmerseite so regelmäßig "Geschichten" erzählen lässt, handelt m.E. fahrlässig. Das ist jedenfalls eine mich bewegende Frage. Denn ein Auftraggeber, der mit öffentlichen Mitteln umgeht und der sonst so sehr auf Kontrolle und Kontrolle der Kontrolle ausgerichtet ist, hat seine eigentliche "Baustelle" nicht im Blick. Nach meiner Beobachtung hat er diese "Baustelle" noch nicht einmal geöffnet; siehe auch Schlussbemerkung in Drittler, BauR 2023, 1871, 1877.
Wen wundert es, dass das Nachtragsgeschäft blüht und Kosten bei der Vertragsabwicklung aus dem Ruder geraten?
Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 08.11.2023 um 18:18 Uhr)