ibr-online Blog-Eintrag

§ 650c BGB: In Abs. 2 gleiche Dogmatik wie in Abs. 1

Bei den gesetzlichen Preisregeln zu einer entsprechend § 650b Abs. 2 BGB vom Besteller (kurz: B) angeordneten Leistungsänderung geht es nicht um die kalkulierten, sondern um die tatsächlichen Kosten. So lassen sich die gesetzlichen Preisregeln des § 650c BGB durchaus auf den Punkt bringen. Und doch wird dem Unternehmer (kurz: U) nach § 650c Abs. 2 BGB die lineare Preisfortschreibung mit VertragspreisNiveauFaktor (Kapellmann/Schiffers) zugelassen - sogenannte PreisNiveauFortschreibung (Korbion). Könnte das den Referenten (kurz: R) auf einer Arbeitstagung zu der Idee veranlasst haben, "tatsächliche Kosten" und "Vorkalkulatorik" seien im Grunde das Gleiche? So willkommen neue Ideen sind: Nein, da gerät etwas durcheinander; siehe meinen Blog-Eintrag vom 07.11.2022. In gewisser Weise nachvollziehbar wiederum mag der Irrweg des R in die Idee hinein durch die (scheinbare) Ambivalenz des Gesetzes selbst sein. Denn ...

Einerseits soll der Mehr- oder Minderaufwand aus der Änderungsanordnung mit tatsächlich erforderlichen Kosten und angemessenen Zuschlägen für AGK, W + G bei Übernahme des Gewinns/Verlustes aus dem alten Preis bewertet werden (§ 650c Abs. 1 BGB) - die Anwendung des VertragspreisNiveauFaktors ist ausdrücklich ausgeschlossen (BT-Drucksache 18/8486, Seite 56). Andererseits soll es dem U möglich sein, auf die Ansätze der Urkalkulation zurückzugreifen und diese linear nach der Korbion'schen Preisformel fortzuschreiben. Dies zwar unter dem Schutz der Vermutung nach § 650c Abs. 2 Satz 2 BGB, das Ergebnis der (linearen) Preisfortschreibung entspreche der Vergütung nach Abs. 1, aber eben in altbekannter und nach der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers und der dahinterstehenden Motivation eigentlich zu verabschieden gedachten linearen PreisNiveauFortschreibung (Korbion).

Nein, bei aller Sympathie für neue Ideen: Die Idee, "tatsächliche Kosten" und "Vorkalkulatorik" seien im Grunde das Gleiche, gehört für sich betrachtet verworfen. Richtig ist: § 650c Abs. 1 BGB spricht die tatsächlich erforderlichen Kosten an und § 650c Abs. 2 BGB die linear fortzuschreibenden vorkalkulatorischen, jene aus der Urkalkulation.

Wiederum ist das nur vordergründig der richtige Zugang zum Gesetz. Hintergründig hatte der Gesetzgeber hier wie da, das heißt ...

In Abs. 2 wie in Abs. 1 die gleiche Dogmatik

... vor Augen. Ist etwa daraus die Idee des R entstanden, "tatsächliche Kosten" und "Vorkalkulatorik" seien im Grunde das Gleiche? Sehen wir weiter:

An sich will § 650c BGB mit Vergütung auf Basis fortgeschriebener Urkalkulation keine Preisfortschreibung nach dem alten Muster sehen. Mit der Möglichkeit des Nachweises nach Abs. 2 soll Abrechnung, die bei Anwendung der Regel nach Abs. 1 schwierig ist, mit Abs. 2 lediglich praktikabel gestaltet werden (BT-Drucks. 18/8486, Seite 56, unter "Zu Absatz 2"). An sich ist nicht die Korbion'sche Preisformel mit dem bisherigen Verständnis der linearen Preisfortschreibung gemeint - an sich. An sich soll gelten: Lineare Preisfortschreibung war gestern. Es sei denn, die Parteien einigen sich darauf (Vorrang des Parteienwillens; BGH "Preisbildung IV, Bezugsposition", BauR 2013, 943). Heute gilt im Grundsatz:

Tatsächliche Mehr- oder Minderkosten bis zu den Herstellkosten, bestimmt als Differenz aus den tatsächlichen Kosten unter der Wirkung der Änderung und den hypothetisch tatsächlichen Kosten ohne sie, dies zusätzlich zum alten Preis, der ggf. Gewinn/Verlust als Absolutbetrag in sich trägt.
Deshalb sieht § 650c BGB - entgegen sich verbreitender Rechtsansicht - an sich auch keine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Nachweiskonzepten vor (kritisch bereits Langen, NZBau 2015, 658, 665). Dieser Ansicht ist jedenfalls dann entgegenzutreten, wenn unter der "Wahl" des Nachweises nach Abs. 2 unbegrenzt Fortschreibung nach dem alten Muster (Korbion'sche Preisformel) gesehen wird. Das Gesetz verlangt seiner Intention nach einen und nur diesen einen Nachweis:
Nachweis des Mehr oder Minder aus der Ursache "Nachtragsereignis" in einer Differenzbetrachtung:
Ist der Kosten aus der Wirkung der Änderung abzüglich hypothetisches Ist der Kosten ohne Wirkung der Änderung.
Nur um dem Anwender des Rechts den zwar klaren, aber aufwendigen Nachweis nach Abs. 1 zu erleichtern, wird ihm bedingt erlaubt, an die Stelle des schwer greifbaren hypothetischen Ist (Kostenlage ohne Änderungsereignis) die relevanten Werte der Urkalkulation zu schreiben und darauf basierend das vermutete Ist der Änderung, die quasi tatsächliche Kostenfolge, durch lineare Fortschreibung zu entwickeln. Damit lässt sich sagen:
In Abs. 2 wird der Grundsatz aus Abs. 1 pragmatisch umgesetzt, ohne den Grundsatz des Abs. 1 aufzugeben. Dogmatisch besehen ist der Maßstab hier wie da der gleiche (Leupertz in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Aufl. 2018, BGB § 650c Rn. 8: kein anderer, von Abs. 1 abweichender Maßstab).

Hilft das der Erklärung des R auf die Sprünge?

Wenn, was richtig ist, das Nachtragsereignis mit der Differenz "Ist der Kosten aus der Wirkung der Änderung abzüglich hypothetisches Ist der Kosten ohne Wirkung der Änderung" zu bewerten ist und es dem Anwender des Rechts (bedingt) erlaubt ist, an die Stelle des schwer greifbaren hypothetischen Ist aus der Differenzbetrachtung die relevanten Werte der Urkalkulation zu schreiben und darauf basierend das vermutete Ist der Änderung, die quasi tatsächliche Kostenfolge, durch lineare Fortschreibung zu entwickeln, das Ganze auf der gleichen dogmatischen Grundlage wie zu Abs. 1: Kann dann der Schluss nahe liegen, "Vorkalkulatorik" sei im Grunde das Gleiche wie "tatsächliche Kosten"?

Ein Versuch, die grundlegende Äußerung des R in seinem Vortrag zu verstehen.

Irgendwie wirkt die Erklärung, "tatsächliche Kosten" und "Vorkalkulatorik" seien im Grunde das Gleiche, doch abenteuerlich.

Im nächsten Blog-Eintrag folge ich dem Vortrag des R weiter.



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 22.11.2022 um 18:25 Uhr)

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