Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte? Eine Illusion!
Das Bundesverfassungsgericht (IBR 2006, 684) hat bekanntlich den Ausschluss des Nachprüfungsverfahrens unterhalb der Schwellenwerte für verfassungsgemäß erklärt. Dabei hat es darauf hingewiesen, dass dem Bieter im Unterschwellenbereich die Rechtsschutzmöglichkeiten "im bestehenden System" zur Verfügung stünden, also etwa eine einstweilige Verfügung oder eine Schadensersatzklage.
In letzter Zeit gab es einige Versuche, durch einstweilige Verfügungen einen Primärrechtsschutz auch unterhalb der Schwelle zu erreichen (vgl. LG Augsburg, IBR 2008, 468; LG Landshut, IBR 2008, 404; LG Potsdam, IBR 2008, 1040; LG Frankfurt/Oder, IBR 2008, 38; LG Cottbus, IBR 2007, 695; OLG Brandenburg, IBR 2008, 106). Der Erfolg der Rechtsschutz begehrenden Bieter war kläglich. Zwar wird im Grundsatz überwiegend anerkannt, dass Bieter auch unterhalb der Schwellenwerte einen Vergaberechtsschutz durch einstweilige Verfügungen erreichen können. Im Ergebnis bleiben solche Anträge jedoch meist ohne Erfolg. Das hat mehrere Gründe:
- Nur im Kartellvergaberecht muss der Auftraggeber die nicht berücksichtigten Bieter 14 Tage vor Zuschlagserteilung über den Namen des erfolgreichen Bieters und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung informieren (VGV § 13);
- im Nachprüfungsverfahren erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von Amts wegen (GWB § 110), während im einstweiligen Verfügungsverfahren nur darüber entschieden wird, was der antragstellende Bieter beibringt;
- nur im Nachprüfungsverfahren gibt es ein Akteneinsichtrecht gemäß § 111 GWB:
im Nachprüfungsverfahren wird bereits mit Zustellung des Antrags das Vergabeverfahren ausgesetzt (GWB § 115), während es unterhalb der Schwellenwerte der Zustellung des Beschlusses bedarf;
- schließlich ist das Haftungsrisiko des antragstellenden Bieters im Nachprüfungsverfahren (GWB § 125) wesentlich geringer als im einstweiligen Verfügungsverfahren. Dort muss der Bieter nach Aufhebung einer einstweiligen Verfügung damit rechnen, vom Auftraggeber gemäß § 945 ZPO verschuldensunabhängig auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Das sogenannte Vergabeverfahrensrisiko - also das Risiko von Mehrkosten infolge eines verzögerten Zuschlags - trägt unterhalb der Schwelle der Rechtsschutz suchende Bieter!
- Hinzu kommt das Kostenrisiko: Es ist nicht entschieden, ob sich im einstweiligen Verfügungsverfahren der Streitwert nach dem - vollen oder einen reduzierten - Auftragwert oder analog nach nach § 50 Abs.2 GKG (5% der Brutto-Auftragssumme) richtet.
"Im bestehenden System" wird sich daher - von krassen Ausnahmefällen abgesehen - ein nennenswerter Primärrechtsschutz unterhalb der Schwelle nicht entwickeln.
Dr. Alfons Schulze-Hagen 
(erstellt am 31.07.2008 um 11:55 Uhr)
