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Vorsicht bei Schnee und Eis: Die Räum- und Streupflicht

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(22.01.2019) Im Winter stellt sich Hauseigentümern und Mietern immer wieder die Frage, welche Pflichten sie im Rahmen des Winterdienstes haben. Wann muss geräumt werden, wie oft und wo?

Auf öffentlichen Straßen und Wegen haben grundsätzlich die Gemeinden die Räum- und Streupflicht. Diese übertragen ihre Pflicht hinsichtlich der Bürgersteige vor Privatgrundstücken (und mancherorts auch von Teilen der öffentlichen Straßen) meist mit Hilfe einer kommunalen Satzung an die Eigentümer der benachbarten Grundstücke. Diese wiederum können die Räum- und Streupflicht weiter an die Mieter ihrer Grundstücke oder Gebäude übertragen. Dies passiert durch eine Regelung im Mietvertrag. Auf Privatwegen haben deren Eigentümer die Räum- und Streupflicht. Auch eine Übertragung auf einen gewerblichen Winterdienst ist möglich.

Wie steht es um die Räumpflicht der Gemeinde?

Die Gemeinden haben auf öffentlichen Wegen und Straßen in der Regel die Räum- und Streupflicht. Allerdings gestehen die Gerichte ihnen zu, dass es praktisch völlig unmöglich ist, alle Straßen und Wege einer Gemeinde gleichzeitig um sieben Uhr morgens geräumt zu haben. Daher gilt: Die Gemeinde muss (und darf) zuerst die Hauptverkehrsstraßen räumen. Nicht erwartet werden kann zum Beispiel, dass der Parkplatz des städtischen Hallenbads ständig eis- und schneefrei gehalten wird. So erhielt nach einem Urteil des Landgerichts Coburg eine Frau keinen Schadensersatz, die ihre Gemeinde auf Schadensersatz verklagt hatte. Sie war auf dem Weg zu ihrem Auto auf dem Parkplatz des Schwimmbads gestürzt und hatte sich das Handgelenk gebrochen (Az. 13 O 678/10). Gemeinden können den Winterdienst auf Nebenstraßen mit geringem Verkehrsaufkommen auch einschränken.

Wer muss den Gehweg räumen?

Die Gemeinden übertragen die Räum- und Streupflicht hinsichtlich der öffentlichen Gehwege vor privaten Grundstücken meist auf die Anlieger. Gibt es keine Gehwege, muss oft ein Streifen am Straßenrand geräumt werden. Vermieter übertragen die Räum- und Streupflicht im Mietvertrag meist auf den Mieter, und das ist erlaubt. Auch seine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Wege auf dem Grundstück und der Zugänge zum Wohnhaus kann der Vermieter auf die Mieter übertragen - dies schließt den Winterdienst ein.
Der Vermieter behält jedoch eine Kontrollpflicht: Er muss überprüfen, ob der Mieter den Winterdienst ordnungsgemäß vornimmt. Stellt er bei stichprobenartigen Kontrollen fest, dass der Mieter seiner Räumpflicht nicht nachkommt, riskiert dieser eine Abmahnung. Kommt es dann noch auf dem ungeräumten Gehweg zu einem Unfall, sieht sich der Mieter außerdem Schadensersatz und Schmerzensgeldforderungen ausgesetzt.
Natürlich können der Mieter und auch der Vermieter ebenso einen gewerblichen Räumdienst beauftragen und ihre Pflichten auf diesen abwälzen. Auch dann behalten die eigentlich Verpflichteten jedoch eine Aufsichts- und Kontrollpflicht.
Krankheit, Arbeit und Urlaub entbinden den Mieter grundsätzlich nicht von seiner vertraglich übernommenen Räumpflicht. Der Mieter muss für diese Zeiten einen Ersatz beschaffen, der seine Räumpflicht übernimmt.

Welche Ansprüche haben Passanten?

Stürzt ein Passant, weil der Verpflichtete nicht geräumt oder gestreut hat, hat der Passant in vielen Fällen einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Anspruchsgrundlage im Zivilrecht ist § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Aber: Auch Passanten haben im Winter Pflichten. Denn jeder muss sich darüber klar sein, dass es im Winter oft glatt ist. Die Gerichte schauen also sehr genau hin, ob etwa ein Mitverschulden des Verletzten vorliegt.

Urteil: Sturz auf Betriebsgelände

Eine Arbeitnehmerin, die auf dem Hof ihres Arbeitgebers stürzte, war mit ihrer Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld vor dem Landgericht Coburg nicht erfolgreich.
Die Frau war morgens gegen neun Uhr gestürzt und hatte sich mehrere Knochenbrüche zugezogen. Daraufhin war sie sechs Monate arbeitsunfähig und litt auch später noch an den Folgen des Sturzes. Der Arbeitgeber hatte den Winterdienst an einen Dienstleister übertragen. Diesen verklagte die Frau auf 10.000 Euro Schmerzensgeld. Der beauftragte Winterdienst gab jedoch an, dass er am Unfalltag gegen 5.30 Uhr geräumt und gestreut habe. Ein Arbeitskollege der Frau hatte den Sturz beobachtet. Dieser gab an, die Hoffläche sei zum Unfallzeitpunkt großflächig geräumt und gestreut gewesen. Lediglich in der Nähe eines einzelnen Lkw-Anhängers sei eine Schnee- oder Eisschicht mit einem Durchmesser von etwa einem Meter gewesen.
Daraus folgerte das Gericht, dass die Räum- und Streupflicht ausreichend erfüllt worden war. Es sei nur ein Zustand herzustellen, der der Klägerin erlaube, bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt die Hoffläche gefahrlos zu befahren und zu begehen. Dafür sei es ausreichend, genügend breite Geh- und Fahrwege zu schaffen. Eine komplette Räumung sei nicht erforderlich. Der Eis- und Schneerest hätte von einem sorgfältigen und achtsamen Benutzer leicht umgangen werden können, da sich der Unfall bei Tageslicht ereignete und sich die Gefahrenstelle deutlich vom dunklen Bodenbelag abhob.
Sogar auf öffentlichen und stark besuchten Parkplätzen, wie etwa vor einem Einkaufszentrum, sei eine Streupflicht nur auf Gehwegen, jedoch nicht zwischen geparkten Fahrzeugen gegeben. Es sei dem Benutzer zuzumuten, die geräumten Zuwege zu benutzen und in den übrigen Bereichen durch entsprechend vorsichtiges Gehen Glättegefahren selbst zu begegnen. Dies gelte um so mehr für einen nicht öffentlichen Betriebshof (Az. 21 O 380/11).

Wann muss geräumt werden?

Die Zeiten, zu denen geräumt sein muss, ergeben sich meist aus einer Satzung der jeweiligen Gemeinde. Sie sind deshalb nicht einheitlich geregelt. Vielerorts muss an Werktagen bis sieben Uhr morgens, in einigen Städten aber auch bis acht Uhr oder acht Uhr dreißig geräumt bzw. gestreut sein. Schneit es tagsüber wieder, muss der Gehweg meist bis 20 Uhr abends in regelmäßigen Abständen immer wieder geräumt werden. An Sonn- und Feiertagen dürfen Räumpflichtige nur wenig später aufstehen: Hier muss der Weg oft bis acht Uhr morgens, in einigen Gemeinden erst bis neun Uhr oder neun Uhr dreißig geräumt sein.
Schneit es stark, wird vom Räumpflichtigen meist erst nach Ende des Schneefalls eine Räumaktion erwartet - also zu einem Zeitpunkt, wo die Wiederholung nicht sinn- und zwecklos erscheint. So entschied der Bundesgerichtshof schon 1984 (Az. VI ZR 49/83). Nach Ansicht mancher Gerichte darf man sich nach Ende des Schneefalls noch eine halbe Stunde Zeit lassen, um abzuwarten, ob der Niederschlag wieder einsetzt.
Bei Glatteisbildung werden generell strengere Maßstäbe angesetzt, hier droht besondere Unfallgefahr, und wer jetzt stundenlang mit dem Streuen wartet, kann sich schnell einer Haftung aussetzen. Auch Bereiche wie Eingangstreppen darf der Räumpflichtige nicht längere Zeit sich selbst überlassen, nur weil es immer weiter darauf regnet und neu gefriert.

Was streut man?

Streusalz ist in den meisten Gemeinden ausdrücklich verboten, weil es die Umwelt, Autos und Bauten schädigt und die Gewässer belastet. Hier kann ein hohes Bußgeld fällig werden. Zu streuen ist mit Sand, Splitt oder Granulat. Nicht zu empfehlen sind stark saugfähige Streumittel wie etwa Holzspäne. Diese können sich mit Wasser vollsaugen, das dann gefriert, und werden selbst zur Gefahrenquelle. Hier droht eine Haftung (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 24.11.2014, Az. 6 U 92/12).

Betreten auf eigene Gefahr?

Der Eigentümer eines Privatweges kann sich nicht einfach von der Räum- und Streupflicht befreien, indem er ein Schild "Betreten auf eigene Gefahr" aufstellt. Insbesondere dann nicht, wenn die Privatstraße mehrere Anlieger hat, die sie regulär benutzen (OLG Saarbrücken, Az. 4 U 466/03). Generell gilt: Darf ein Platz oder eine Straße von anderen Leuten benutzt werden, kann ein Privateigentümer durch eine Beschilderung keinen Haftungsausschluss vornehmen - er hat trotzdem eine Verkehrssicherungspflicht. Bei Gemeinden sieht die Sache allerdings anders aus.
Ein Schild, das auf eine konkrete Gefahr hinweist, kann jedoch dazu beitragen, im Fall eines Gerichtsverfahrens den Mitverschuldensanteil des Verletzten zu erhöhen, da dieser dann mehr hätte aufpassen müssen.

Was gilt für Senioren und bei Krankheit?

Von Senioren, die rein körperlich ihrer mietvertraglichen Räumpflicht nicht mehr nachkommen können, kann der Vermieter dies auch nicht verlangen. Sie müssen nach Ansicht einiger Gerichte auch keinen Räumdienst beauftragen, sondern sind von der Pflicht befreit (Landgericht Köln, Urteil vom 30. August 2012, Az. 1 S 52/11).
Bei jüngeren Menschen, die dies aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht können, erwarten die Gerichte zum Teil zumindest den Versuch, einen Vertreter im Bekanntenkreis zu finden oder den Nachweis, dass es nicht zu vernünftigen Konditionen möglich war, einen Räumdienst zu beauftragen (Landgericht Münster, Az. 8 S 263/05).

Urteil: Räumpflicht nur für Gehweg vorm Grundstück

Die Räumpflicht erstreckt sich nur auf den Gehweg vor dem eigenen Grundstück. Dies stellte das Verwaltungsgericht Berlin fest (Az. VG 1 K 366.11). Geklagt hatte eine Anliegerin eines Grundstücks in Berlin-Neukölln. Ihr Grundstück befand sich in einer Straße, die im Straßenreinigungsverzeichnis C des Landes Berlin eingetragen war. Daraus ergab sich eine gesetzliche Verpflichtung zur Schnee- und Eisbeseitigung. Unmittelbar vor dem Grundstück der Klägerin befand sich allerdings kein Gehweg, sondern nur ein zum Parken genutzter unbefestigter Randstreifen. Dann kam sofort die Fahrbahn und der gegenüberliegende Gehweg. Die Kommune hatte der Frau ein Bußgeld aufgebrummt, weil sie ihren Winterdienstpflichten für den gegenüberliegenden Gehweg nicht nachgekommen sei. Die Anliegerin klagte auf Feststellung, dass ihre Verpflichtung diesen Teil der Straße nicht umfasse.

Zu Recht, entschied das Verwaltungsgericht Berlin. Nach dem Berliner Straßenreinigungsgesetz seien die Anlieger zwar zum Winterdienst jeweils vor ihren Grundstücken auf den nächstgelegenen Gehwegen verpflichtet. Der Begriff des nächstgelegenen Gehwegs sei aber nicht derart weit zu verstehen, dass davon auch noch der Gehweg vor den Grundstücken auf der gegenüberliegenden Straßenseite erfasst sei. Die Fahrbahnmitte bilde die natürliche Grenze für Reinigungs- bzw. Winterdienstpflichten, so die Berliner Verwaltungsrichter.

Urteil: Sturz auf einem Kundenparkplatz an Heiligabend

Ein Ehepaar parkte an Heiligabend ihr Fahrzeug auf dem Kundenparkplatz einer Bäckerei. Auf den etwa fünf Metern Weg zur Bäckerei rutschte die Frau auf einer etwa drei Meter großen Eisfläche aus und stürzte. Dabei erlitt sie Frakturen des Schien- und Wadenbeins, die eine einwöchige stationäre Behandlung erforderten. Die Frau klagte, da sie der Ansicht war, der Bäcker hätte den Parkplatz vollständig von Schnee und Eis befreien müssen. Sie forderte Schadensersatz und Verdienstausfall von insgesamt 12.500 Euro und ein Schmerzensgeld von mindestens 15.000 Euro.
Schon das Landgericht Koblenz wies die Klage mit der Begründung ab, es sei nicht zu erkennen gewesen, dass man den Bäckerladen nicht ungefährdet hätte erreichen können. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Parkplatz lückenlos von Eis zu befreien. Die Klägerin treffe unabhängig davon ein erhebliches Eigenverschulden.
Das Oberlandesgericht Koblenz wies die Klägerin darauf hin, dass ihre Berufung gegen das Urteil des Landgerichts keine Aussicht auf Erfolg habe. Da die Parkfläche zehn Meter breit gewesen sei, hätte sie die Eisfläche auch umgehen können. Für eine Ausweichmöglichkeit spreche auch, dass an jenem Tag ansonsten kein anderer der zahlreichen Kunden, die die Bäckerei aufgesucht hätten, zu Fall gekommen sei (Az. 5 U 582/12).

Was für ein Vertrag wird über den Winterdienst geschlossen?

Der Bundesgerichtshof hat eine Entscheidung zum "Winterdienstvertrag" getroffen und damit geklärt, ob es sich dabei um einen Dienst- oder Werkvertrag handelt. Diese Frage ist von den Gerichten zuvor unterschiedlich beurteilt worden.
Ein Grundstückseigentümer hatte einen gewerblichen Winterdienst beauftragt und war mit dessen Leistung unzufrieden gewesen. Daher hatte er einen Teil der Vergütung nicht gezahlt. Das zunächst damit befasste Gericht hatte der Klage des Winterdienstes auf Zahlung stattgegeben, da hier seiner Meinung nach ein Dienstvertrag vorlag. Bei diesem gibt es keine Minderung der vereinbarten Vergütung wegen Schlechtleistung. Auch ein normaler Arbeitsvertrag ist ein Dienstvertrag.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch entschieden, dass es sich hier um einen Werkvertrag handelte. Der Auftragnehmer schuldet also nicht nur Arbeit, sondern einen konkreten Erfolg - einen schneefreien Gehweg. Schafft er das nicht, kann der vereinbarte Betrag gemindert werden, da ein Werkmangel vorliegt. Eine Fristsetzung zur Nachbesserung sah der Bundesgerichtshof hier als überflüssig an (Az. VII ZR 355/12).

Praxistipp

Hauseigentümer, die ihr Haus selbst bewohnen, können sich gegen Haftungsrisiken aufgrund vernachlässigten Winterdienstes durch eine Privathaftpflichtversicherung absichern. Dies ist auch Mietern zu empfehlen, die zum Schneeräumen verpflichtet sind. Für Vermieter empfiehlt sich eine Haus- und Grundbesitzer-Haftpflichtversicherung. Bei einem Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche kann ein auf das Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwalt helfen.

(Quelle: Anwalt-Suchservice)