IMR 2013, 274
IMR 2013, 274

Mehrfache Mittelzweckentfremdung: Keine Übernahme der Mietrückstände!

Die wiederholte zweckwidrige Mittelverwendung für Mietzahlungen spricht dafür, dass der Leistungsempfänger bewusst die Miete nicht zahlt im Vertrauen darauf, dass Rückstände später übernommen werden. In einem solchen Fall sozialwidrigen Herbeiführens von Mietrückständen trotz ausreichender Mittel erscheint eine Hilfegewährung nicht gerechtfertigt.*)

LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2013 - L 2 AS 842/13 ER-B

SGB II § 22

Problem/Sachverhalt

Die Mieterin erhält Leistungen nach dem SGB II (Hartz 4). Während des Leistungsbezugs erhält die Mieterin einen einkommensorientierten Mietzuschuss sowie aufstockend den Restbetrag der Miete als SGB II-Leistungen. Dennoch wird in diesem Zeitraum der einkommensorientierte Mietzuschuss nicht an den Vermieter weitergeleitet. Während der Unterbrechung des Leistungsbezugs über einen Zeitraum von drei Monaten laufen weitere erhebliche Mietrückstände auf. Nach Wiederaufnahme des Leistungsbezugs werden die Kosten für Unterkunft seitens des Jobcenters übernommen, jedoch von der Mieterin nicht oder nicht vollständig an den Vermieter weitergeleitet. Im Ergebnis beträgt der Rückstand gegenüber dem Vermieter ca. 3.100 Euro. Die Mieterin hat beim Jobcenter die Übernahme der Mietschulden als Darlehen gemäß § 22 Abs. 8 SGB II beantragt. Dies lehnt das Jobcenter ab. Ein Antrag der Mieterin auf einstweiligen Rechtsschutz wird vom Sozialgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Mieterin beim LSG.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Schulden sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vorliegend hat das LSG das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "gerechtfertigt" verneint. Grundsätzlich kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, das Alter sowie eventuelle Behinderungen der jeweiligen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, das in der Vergangenheit vom Hilfesuchenden gezeigte Verhalten (erstmaliger oder wiederholter Rückstand, eigene Bemühungen, die Notsituation abzuwenden und die Rückstände auszugleichen) und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe zu berücksichtigen sind (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 21.12.2012 - L 11 AS 850/12 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.03.2012 - L 3 AS 28/12 B ER). Die Mieterin ist bereits wiederholt mit Mietzahlungen in Rückstand geraten, obwohl das Jobcenter entsprechende Leistungen bewilligt hat. Die wiederholte zweckwidrige Mittelverwendung spricht dafür, dass die Mieterin bewusst die Miete nicht bezahlt im Vertrauen darauf, dass Rückstände später übernommen werden. In einem solchen Fall sozialwidrigen Herbeiführens von Mietrückständen trotz ausreichender Mittel erscheint eine Hilfsgewährung nicht gerechtfertigt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.03.2011 - L 12 AS 622/11 ER-B).

Praxishinweis

Noch nicht geklärt ist die Frage, ob eine Schuldübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II nur dann in Betracht kommt, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand geraten ist. Sind jedoch die Rückstände durch eine rechtswidrige Leistungsablehnung des Grundsicherungsträgers entstanden, so ist die Übernahme der Schulden gerechtfertigt und das Übernahmeermessen des Jobcenters auf Null reduziert (LSG Hamburg, Beschluss vom 24.01.2008 - L 5 B 504/07 ER AS; Berlit in LPK - SGB II, 4. Aufl., § 22 Rz. 188).

RA, FA für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und FA für Sozialrecht Maik Fodor, Friedrichshafen Autorenprofil

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