ibr-online Blog-Eintrag

Entschädigungshöhe nach § 642 Abs. 2 BGB, oder: Die bedenkliche Sache mit den Füllaufträgen

Ob § 642 BGB für die Abwicklung von monetären Folgen beim Unternehmer, Folgen von Behinderungen aus dem Risikobereich des Bestellers (kurz: B), als Rechtsnorm für die Subsumtion taugt, mag zwar bezweifelt werden; siehe Blog-Eintrag vom 30.01.2023. Die Zweifel helfen dem Klima-U in unserem Fall (Blog-Eintrag vom 23.01.2023 rein praktisch betrachtet freilich nicht weiter. Der BGH hat in den zwei bewussten Entscheidungen nun einmal die Grenzen von Entschädigung in seiner Sicht geklärt. Daran wird auf kaum absehbare Zeit wohl nicht zu rütteln sein. Bis auf weiteres stellt sich für den "Rechts"-Anwender die Frage, worauf sich eine Entschädigung des Klima-U in der Sicht des BGH richten darf und worauf nicht. Dabei trifft er auf eine weitere - vorsichtig ausgedrückt - Ungereimtheit, dieses Mal weniger im Gesetz als in der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Ich hole etwas aus

§ 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des Unternehmers, wenn der Besteller (Gläubiger) eine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlässt oder vorübergehend unterlässt (Verspätung), eine Handlung, die bei der Herstellung des Werks zur rechten Zeit am rechten Ort erforderlich ist, und der Besteller hierdurch in Annahmeverzug (Gläubigerverzug) gerät. Die Leistung des Vorunternehmers im Beispielfall, die GK-Wände, sind für ein behinderungsfreies Arbeiten des Klima-U nicht rechtzeitig gebaut worden, so dass der B in seinem Vertragsverhältnis zum Klima-U in Annahmeverzug geriet.

Allgemein sind für den Annahmeverzug die §§ 293 BGB maßgebend. Wenn danach der Unternehmer dem Besteller seine vertragliche Leistung erfolglos anbietet (Angebot zur Leistung ist regelmäßig mit einer ordnungsgemäßen Behinderungsanzeige gegeben; BGH "Vorunternehmer II", NZBau 2000, 187) und seinerseits zur Leistung bereit und in der Lage, also leistungsbereit ist, kann er vom Besteller eine angemessene Entschädigung verlangen. Insoweit knüpft § 642 Abs. 1 BGB an die allgemeinen Regeln des Annahmeverzugs an. Der Anspruch aus Annahmeverzug endet, sobald die Leistungsbereitschaft des Unternehmers entfällt.

Die Höhe der angemessenen Entschädigung regelt sich nach den Kriterien des § 642 Abs. 2 BGB. Danach ist neben der Höhe der vereinbarten Vergütung die Dauer des Annahmeverzugs einerseits von Bedeutung, andererseits dasjenige, was der Unternehmer infolge des Verzugs an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann. Um den Vortrag zur Dauer des Annahmeverzugs soll es in diesem 1. Teil zur Anspruchshöhe gehen. Dabei spielen Begriffe wie Füllauftrag und anderweitiger Erwerb eine Rolle.

Die Sache mit den Füllaufträgen:
Im Sinn (oder Unsinn?) des BGH soll es ohne Bedeutung sein, ob anderweitiger Erwerb aus "echtem Füllauftrag" stammt


Bei der Darlegung der Dauer des Annahmeverzugs trifft der Klima-U nach der Begrenzung der Entschädigung auf die Dauer des Annahmeverzugs (Blog-Eintrag vom 30.01.2023) auf eine weitere Grenze, jenseits derer er annahmeverzugsbedingte Nachteile nicht mehr entschädigt bekommt. Zwar können Kostendeckungen durch Verwendung seiner durch Annahmeverzug des Bestellers frei gewordenen Arbeitskraft in einem anderen Auftrag (anderweitiger Erwerb) richtigerweise nicht Gegenstand seiner Entschädigung sein. In der Sicht des BGH auf das Gesetz ist das Kriterium des anderweitigen Erwerbs im Rahmen von § 642 Abs. 2 BGB aber eigenständig und nicht in Anlehnung an § 648 Satz 2 BGB auszulegen. Ob die anderweitige Einsatzmöglichkeit auf einem "echten Füllauftrag" beruht, also auf einem Auftrag, der nur in der Folge des Annahmeverzugs angenommen und ausgeführt werden kann, soll ohne Bedeutung sein; BGH "Entschädigungshöhe", NZBau 2020, 362 Rn. 57.

Das heißt: Während BGH "Entschädigungsdauer" aus 2017 (a.a.O) dem Klima-U eine Regelungslücke im Gesetz deutlich vor Augen führt [kein Ersatz seiner Nachteile in Zeit nach Ende des Annahmeverzugs des B], soll der Klima-U lt. BGH "Entschädigungshöhe" aus 2020 auch noch Vorteile aus der Auslastung seiner Ressourcen hergeben müssen, Vorteile, die er bereits ohne das zur Entschädigung Anlass gebende Ereignis gehabt hätte. Denn das Kriterium der Echtheit eines Füllauftrages soll keine Rolle spielen. Damit mag der Klima-U zwar ein weiteres Mal quer liegen und denken: Die Kausalität, ein eherner Leitgedanke in Gesetz und Rechtsprechung, werde schlichtweg "überrannt". Praktisch besehen hat der Klima-U aber auch hier das Nachsehen.

Jenseits seines praktischen Falls wird beim Klima-U die Frage stark, ob an die "Sache mit den Füllaufträgen" eine Auseinandersetzung über Recht und Nicht-Recht anknüpfen sollte. Dabei mag dieses Mal, anders als noch in BGH "Entschädigungshöhe" vom 30.01.2020 (a.a.O.), die klare Anweisung des Gesetzgebers zur Kausalitätsfrage beachtet werden. Nach § 642 Abs. 2 BGB ist nämlich bereits nach dem Wortlaut, ohne dass es weiterer Klimmzüge in der Auslegung bedürfte, nicht Gegenstand eines Entschädigungsanspruchs, "was der Unternehmer infolge [Hervorhebung Drittler] des Verzugs ... durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann." Das ist der "echte Füllauftrag". Was sonst?!

Anderweitig Erworbenes

Für das Ermessen - nicht der Berechnung, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird - für das Ermessen einer Entschädigung im Sinne einer freien richterlichen Entscheidung ist die (vom beweisbelasteten Klima-U festzustellende) Dauer des Annahmeverzugs grundlegend. Dieser Rechtszustand endet, sobald der Unternehmer nicht mehr leistungsbereit ist; Leupertz, BauR 2014, 381, 388. Ende der Leistungsbereitschaft meint nicht das vorübergehende Abwandern der annahmeverzugsbedingt freigewordenen Produktionsmittel in anderweitigen Erwerb. Im Gegenteil: Auch im anderweitigen Einsatz bleiben die (sonst leerlaufenden) Produktionsmittel weiterhin für die Fortführung nach dem Ende des Annahmeverzugs bereitgehalten, sie bleiben leistungsbereit; Althaus, NZBau 2018, 643, 644.

Ab dem Beginn der "anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft" (§ 642 Abs. 2 BGB) kann der Klima-U seine wirtschaftlichen Nachteile je nach Vergütungsqualität im anderen Auftrag teilweise oder ganz kompensieren. Er erhält Erlöse aus der anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft, mit denen er Leerlaufkosten decken kann. Dieser prinzipielle Nachteilsausgleichsgedanke steckt hinter dem Kriterium "anderweitiger Erwerb" in § 642 Abs. 2 BGB. Dabei ist das nutzlose Bereithalten von Betriebsmitteln und die diesen zugeordneten nicht ermöglichten Umsätze das Gegenstück zum Umsatz aus anderweitigem Erwerb; überzeugend Sienz; BauR 2021, 1205, 1209.

Neben dem infolge des Annahmeverzugs Ersparten muss sich der Unternehmer sein anderweitig Erworbenes auf die annahmeverzugsbedingt nicht ermöglichten Umsätze anrechnen.

Der vom Klima-U zu leistende Vortrag zur Höhe seines Entschädigungsanspruchs wird mit einer Arbeitsanleitung des BGH im nächsten Blog-Eintrag vertieft.


(wird fortgesetzt mit dem Nachweis der Entschädigungshöhe in der Sicht des BGH auf § 642 Abs. 2 BGB, wenn die Dauer des Annahmeverzugs geklärt ist)



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 13.02.2023 um 19:57 Uhr)

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