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Nicht zu fassen! Ein als "dramatisch ungerecht empfundenes Ergebnis"

Bauherr (Besteller, kurz: B) beauftragt Unternehmer (kurz: U), für den Neubau einer Krankenhauserweiterung die Klimaanlage herzustellen. Die Bauzeit für die Herstellung der Klimaanlage (Montage) ist verbindlich mit einem Jahr vereinbart. Nach Abschluss der Montagearbeiten soll die Anlage in Betrieb gesetzt werden (Inbetriebsetzung, kurz: IBS). Für die umfangreichen Prüf- und Messaufgaben im Rahmen der IBS sieht der Vertrag der beiden bis zur Abnahme ein halbes Jahr vor. Die Zu- und Abluftkanäle sowie die Leitungen für die Mess-, Steuer- und Regeltechnik (kurz: MSR) werden unmittelbar unter den Rohbetondecken durch die Flurwände und Trennwände zwischen den Behandlungsräumen, die allesamt Gipskartonwände sind (kurz: GK-Wände), hindurchgeführt. In der technologischen Ablauffolge müssen die GK-Wände samt aller Durchlässe, insbesondere jener für die Klimakanäle, stehen, bevor die Kanäle eingebaut werden können. So gesehen ist der Trockenbauer (baut die GK-Wände) für den U der Klimaanlage (Klima-U) ein sogenannter Vorunternehmer. Dieser gerät gegenüber dem B in erheblichen Leistungsverzug, worunter der Arbeitsfortschritt des Klima-U leidet. Der Vorunternehmer folgt der Aufholanweisung des B nicht, woraufhin der B dem Vorunternehmer die Kündigung erklärt. Für jede Bauabwicklung der GAU schlechthin.

Die Montagezeit des Klima-U verlängert sich nachweislich, gar, was selten zu sehen ist, konkret nach den besten Regeln der Nachweiskunst bewiesenermaßen in der Folge der Verzögerungen beim Bau der GK-Wände von einem Jahr auf, sage und schreibe, drei Jahre. Den darauf gerichteten Bauzeitnachtrag des Klima-U lehnt der B rundweg ab. Huschte dabei ein Lächeln über das Gesicht des B? Er sieht in seiner Ablehnung Gesetz und Rechtsprechung auf seiner Seite.

Ist das noch zu fassen?

Der Klima-U hatte die zwei Jahre Bauzeitverlängerung zum Ausgangspunkt seiner Darlegungen genommen und seinen daraus nachweislich entstandenen Schaden zu ersetzen verlangt (§ 280 BGB, § 6 Abs. 6 VOB/B), hilfsweise seinen Entschädigungsanspruch für die in der Dauer des Annahmeverzugs nutzlos in Leistungsbereitschaft vorgehaltenen Produktionsfaktoren (§ 642 BGB).

Trockenbauer ist Vorunternehmer, für dessen Verspätung B gegenüber Klima-U nicht haftet

Rein sachlich an der Rechtsprechung des BGH orientiert ist die Ablehnung fassbar, wenn ich an die Entscheidung BGH "Vorunternehmer I" vom 27.06.1985 (VII ZR 23/84, BauR 1985, 561) denke. Der BGH hatte Schadensersatzansprüche des Nachfolgeunternehmers (in unserem Beispiel der Klima-U) gegen den Besteller aus Verzögerungen bei Leistungen des Vorunternehmers mit der Begründung abgelehnt, der Vorunternehmer sei nicht Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) des Bestellers.

Die "Vorunternehmer I"-Entscheidung führt der besagte Bauherr gegen die Begründung des Bauzeitnachtrags als Schadensersatzanspruch ins Feld. Die Bauzeitverlängerung habe er, der B, im Sinne von Verschulden nicht zu vertreten. BGH "Vorunternehmer I", eine Entscheidung mit einem als "dramatisch ungerecht empfundenen Ergebnis" (Kniffka in Festschrift für Ulrich Locher, 2022, 187).

Welches Gewicht diese Entscheidung im Tatsächlichen hat, kann jeder nachempfinden, der sich vor Augen führt, dass etwa 2/3 bis 3/4 (!) aller Behinderungen auf heutigen Baustellen auf verzögerte Vorunternehmerleistungen zurückgehen. Sie fallen mit BGH "Vorunternehmer I" durch die Maschen des Rechtsnetzes, das eigentlich schützen soll.
Recht, das eigentlich schützen sollte.
Seinerzeit ist heftige Kritik an "Vorunternehmer I" geübt worden. Stellvertretend für viele wird an den Aufsatz von Steffen Kraus, Ansprüche des Auftragnehmers bei einem durch Vorunternehmer verursachten Baustillstand, erschienen in BauR 1986, 17, erinnert.

Das Gerechtigkeitsgefühl bleibt bei BGH "Vorunternehmer I" aus dem Jahr 1985 seit bald 40 Jahren (!) auf der Strecke.
Das ist in der Tat nicht zu fassen!


(wird fortgesetzt in der hier begonnenen Reihe, dann mit der Sicht des BGH auf § 642 BGB)



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 23.01.2023 um 18:32 Uhr)

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