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§ 650c Abs. 1, 2 BGB: Am Ende nur Makulatur?

Die Höhe der Vergütung von geänderten und zusätzlichen Leistungen, den hier so genannten BauSoll-Modifikationen, bestimmt sich in der Praxis weitestgehend auch heute noch in über Jahrzehnte geltender linearer Preisfortschreibung nach Korbion, einer Fortschreibung unter Rückgriff auf die Auftragskalkulation, verbreitet als Korbion'sche Preisformel bekannt, eine Fortschreibung, nach Kapellmann/Schiffers - näher konkretisierend - unter Beibehaltung des Vertragspreisniveaufaktors.

Seitdem am Anfang des ersten Jahrzehnts des laufenden Jahrhunderts sogenannte Mischkalkulationen und andere Formen der Preis- und Abrechnungsmanipulation, unter anderem auch Abrechnungen mit exorbitant überhöhten Einheitspreisen, gerichtsbekannt geworden sind, allen voran der Fall BGH "Spekulativ überhöhter EP" vom 18.12.2008 - VII ZR 201/06 - mit einer 800-fachen Überhöhung, regte sich in der Baurechtswelt Widerstand gegen die Fortschreibung nach der Korbion'schen Preisformel mit dem Verständnis der linearen Preisfortschreibung. Darunter befindet sich ein Vorschlag von Vygen aus dem Jahr 2006 (BauR 2006, 894), mit dem die Korbion'sche Preisformel neu interpretiert wird, ein Vorschlag, weggehend von der linearen Fortschreibung durch Übernahme von Verlust/Gewinn als relative Größe und hinwendend zur Fortschreibung durch Übernahme von Verlust/Gewinn als Absolutbetrag - AbsolutbetragsFortschreibung (Vygen).

In den Jahren um 2010 verstärkte sich der Widerstand gegen die lineare Preisfortschreibung. Die Auftragskalkulation werde von der herrschenden Meinung überschätzt, hieß es nun etwa. Überhaupt wurde Fortschreibung und (vorübergehend) sogar Anknüpfung an den ursprünglichen Preis an sich infrage gestellt, indem für die Bewertung einer BauSoll-Modifikation dem Üblichkeitsmaßstab entsprechend des - damals alleinigen - gesetzlichen Leitbildes (§ 632 Abs. 2 BGB) plädiert wurde. Nach wiederum anderen, sich letztlich durchsetzenden Überlegungen soll (weiterhin) an den alten Preis angeknüpft und aus ihm heraus der neue Preis entwickelt werden. Allerdings ist dabei Gewinn/Verlust aus dem alten Preis nicht mehr relativ (prozentual) in den neuen Preis zu übernehmen wie nach dem klassischen Verständnis der Korbion'schen Preisformel (Korbion-Klassik), sondern als Absolutbetrag, wie es Vygen vorgeschlagen hat (siehe oben). Grundlegend dafür ist der als Postulat herausgestellte Gedanke, weder den Auftragnehmer noch den Auftraggeber durch das Nachtragsereignis schlechter oder besser zu stellen.

Die Zweifel am alten System der Vergütung von BauSoll-Modifikationen mündeten in das mit Wirkung ab 01.01.2018 eingeführte gesetzliche Bauvertragsrecht (§§ 650a ff.), in dessen Vergütungssystem die tatsächlich erforderlichen Kosten des infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Abs. 2 BGB vermehrten oder verminderten Aufwands den zentralen Maßstab bilden, dies neben der Übernahme etwaigen Gewinns/Verlustes als Absolutbetrag aus dem alten in den neuen Preis. Dieser als Grundsatz eingeführte Maßstab (§ 650c Abs. 1 BGB) wird in Abs. 2 des § 650c BGB wieder aufgeweicht. So darf der Auftragnehmer im Schutz der Vermutung, die auf Basis der Urkalkulation (linear) fortgeschriebene Vergütung entspreche der Vergütung nach Abs. 1 des § 650c BGB, Preisfortschreibung nach dem alten, an sich überwunden geglaubten System der Korbion'schen Preisformel, betreiben.

Siehe zu allem 4. Auflage von Nachträge und Nachtragsprüfung, die beim Werner Verlag am 5. Dezember 2022 erscheinen wird.

Grundsätzlich gilt bei der Frage, nach welchem Modus der Preis einer BauSoll-Modifikation zu bilden ist: Der ...

Parteienwille hat Vorrang

Der BGH hob in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 hervor; siehe BGH "Preisbildung IV, Bezugsposition"
vom 14.03.2013 - VII ZR 142/12:

Gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass der neue Preis einer BauSoll-Modifikation im Wege einer Fortschreibung der dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation des Auftragnehmers (und nicht anhand tatsächlicher oder üblicher Kosten) zu bestimmen ist, ist das Gericht daran gebunden.
Die Vergütung für eine geänderte Leistung sei in diesem Fall in der Weise zu ermitteln, dass - soweit wie möglich - an die Kostenelemente der Auftragskalkulation angeknüpft wird. Abzustellen sei dabei grundsätzlich auf die Auftragskalkulation der geänderten Position, so der BGH weiter.

Mit anderen Worten: Sind sich die Parteien darin einig, den neuen Preis mit dem klassischen Preisanpassungsmodus nach der Korbion'schen Preisformel bilden zu wollen, ist der neue Preis aus der Auftragskalkulation abzuleiten. Es gilt dann das (alte) Prinzip der PreisNiveauFortschreibung (Korbion), das heißt der linearen Fortschreibung der internen Gewinne und Verluste aus den dafür maßgeblichen Ansätzen der Auftragskalkulation.

Ein Schelm, wer damit denkt: Vereinbare mit deinem Partner lineare Preisfortschreibung nach Korbion und alles bleibt beim Alten?

Ist das Gesetz mit seiner - mich mit dem Prinzip in Abs. 1 über alle Zweifelsfragen hinweg überzeugenden - AbsolutbetragsFortschreibung (Vygen), so wenige Anhänger es in der Praxis sowieso schon hat, am Ende auch noch Makulatur?

Zum Thema auch lesenswert und manche Irritationen in der Praxis im Umgang mit den Preisbildungsregeln nach § 650c Abs. 1, 2 BGB erfrischend satirisch auf den Punkt bringend: Helmut Duve, Die Vergütung nach § 650c BGB - Gedanken aus der Praxis, Festschrift für Ulrich Locher zum 65. Geburtstag (2022).



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 05.09.2022 um 20:49 Uhr)

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