BGH klärt brennende Frage trotz Gelegenheit nicht
Bei allem Respekt vor der Würde des Amtes und der Menschen darin: Die Bauwelt wartet auf die höchstrichterliche Klärung. Die Antwort auf die Frage, wie der neue Preis nach § 2 Abs. 5, 6 VOB/B, gleich ob mit oder ohne bauzeitliche Wirkung, zu bilden ist, wird mit Hochspannung erwartet.
Worum geht es?
Eine Anordnung des Auftraggebers zur Änderung der Leistung oder einer Zusatzleistung (BauSoll-Modifikationen) kann sich im Bauablauf als Behinderung erweisen. Ein Anspruch aus § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B umfasst neben den unmittelbaren Kosten der BauSoll-Modifikation auch alle mittelbaren Folgekosten, die dem Auftragnehmer durch bauzeitliche Auswirkungen der BauSoll-Modifikation entstehen. Insoweit bestätigt der BGH die Entscheidung der Vorinstanz (OLG Köln vom 03.02.2021 - 11 U 136/18) in seinem Beschluss vom 23.03.2022 - VII ZR 191/21. Rechtsprechung und Literatur gäben dafür eine hinreichende Orientierungshilfe, so dass es zur Fortbildung des Rechts keiner Entscheidung des BGH bedürfe. Ein Grund für die Zulassung der Revision liege daher nicht vor. Im Übrigen habe die Revision keine Aussichten auf Erfolg, weil die Bestätigung des zusätzlichen Vergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B durch das Berufungsgericht im Grundlegenden (Anspruchsgrund) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
Soweit, so gut.
Jetzt aber das!
Im gegenwärtigen Verfahrensstadium bedürfe es zur Fortbildung des Rechts nicht einer Klärung der Frage, ob die Vergütung bei Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B mit tatsächlichen erforderlichen Kosten des Mehr- oder Minderaufwands oder im Wege der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung zu bemessen ist; BGH BauR 2022, 1069, 1072. Genau dieser Frage aber haben die Richter der Vorinstanz zu Recht eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen, weshalb sie die Sache zur Klärung zum BGH zugelassen haben.
Weicht da "jemand" aus?
Ich hätte mir vom BGH wenigstens ein obiter dictum gewünscht, eine Rechtsansicht, welche die gefällte Entscheidung zwar nicht trägt, aber - sozusagen am Rande - geäußert werden kann, weil sich die Gelegenheit dazu bietet.
Vieles spricht für ein Verständnis der Preisregeln des § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B (2016), welches dem (heutigen) gesetzlichen Prinzip der "AbsolutbetragsFortschreibung (Vygen)" nach § 650c Abs. 1 BGB (2018) folgt. Das die Preisbildung in gewisser Weise erleichternde Wahlrecht unter der Vermutung in § 650c Abs. 2 Satz 2 BGB sehe ich als Errungenschaft des neuen Gesetzes, um unter den "hochmanipulierten" Nachtragspreisen wenigstens den augenfällig groben Fällen den Boden zu entziehen. So darf der neue Preis, wie bisher in VOB/B-Verträgen, nach dem Korbion'schen Prinzip aus der Auftragskalkulation linear fortgeschrieben werden, wenn die Vermutung hält, nach welcher das Ergebnis einer - ich übersetze - linearen "PreisNiveauFortschreibung (Korbion)" unter Rückgriff auf die Auftragskalkulation dem unter den Maßgaben des § 650c Abs. 1 BGB gebildeten Preis entspricht. Andernfalls ist der Mehr- oder Minderaufwand der BauSoll-Modifikation mit den tatsächlichen erforderlichen Kosten zzgl. Zuschläge für AGK, W+G zu bewerten.
Damit wird einerseits der Auftraggeber geschützt vor allzu hohen - im Angebot spekulativ vorbereiteten - späteren Nachtragspreisen und natürlich andererseits der Auftragnehmer davor bewahrt, unauskömmliche Preise aus Bezugspositionen zu unauskömmlichen Nachtragspreisen entwickeln zu müssen.
In der 4. Auflage von Nachträge und Nachtragsprüfung setze ich mich ausführlich mit Funktionsweise, Entstehung und Motiven sowie der baubetrieblichen Umsetzung der Regeln zur Preisbildung nach § 650c Abs. 1, 2 BGB auseinander.
Die print-Fassung der 4. Auflage von Nachträge und Nachtragsprüfung wird beim Werner Verlag am 15.11.2022 erscheinen.
Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 28.06.2022 um 18:00 Uhr)