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Auftragnehmer erhält AGK und W + G aus Umsatz bei Leistungsbereitschaft und nicht nur aus Zuschlag

Das Oberlandesgericht Düsseldorf legte dem Bundesgerichthof mit seiner Entscheidung vom 19.12.2019 (5 U 52/19) in einem Entschädigungs-Fall die Frage vor, ob § 642 BGB ohne das konkrete, nutzlose Vorhalten von Personal oder Material eine Entschädigung für Allgemeine Geschäftskosten (AGK) sowie Wagnis und Gewinn (W + G) gewährt; OLG Düsseldorf "AGK-Unterdeckung", NZBau 2020, 509. Der BGH hat die Sache zur Revision angenommen. Im Zuge seiner Begründungen irrt das OLG in der Auffassung, zur Erfassung von AGK und W + G sei die Zuschlagslösung anzuwenden und nicht die Unterdeckungslösung. Das wird hier auseinandergesetzt.

Das Unterdeckungsthema hat grundlegende Bedeutung. Es fragt sich, ob eine Entschädigung nach § 642 Abs. 2 BGB einen Ausgleich für Unterdeckung der im Preis angelegten AGK und den Nicht-Erlös eines Preisansatzes für W + G (zusammen: Deckungsbeitrag) umfassen kann; ausdrücklich "der im Preis angelegten", sozusagen "von oben" zu greifenden und nicht "von unten" als Zuschlag auf den Aufwand der während des Annahmeverzugs leerlaufenden Produktionsmittel. Wenn ja, fragt sich weiter, was dafür vorzutragen ist. Klar ist: Als zeitliche Bestimmungsgrundlage kommt nur die Dauer des Annahmeverzugs in Betracht und darin der behinderungsveranlasst nicht ermöglichte Bauleistungsumsatz (frustrierter Umsatz), die, wie es im Gesetz heißt, "Höhe der vereinbarten Vergütung" (§ 642 Abs. 2 BGB). Das ...

OLG Düsseldorf in der Sache "AGK-Unterdeckung"

ist der Ansicht, § 642 BGB gewähre keine Entschädigung für Allgemeine Geschäftskosten und Wagnis + Gewinn unabhängig von einem tatsächlichen und nutzlosen Vorhalten von Personal oder Betriebsmitteln.

Richtig! Unabhängig vom Vortrag eines tatsächlichen und nutzlosen Bereithaltens von Personal oder Betriebsmitteln erhält der Auftragnehmer keine Entschädigung. Das hat der BGH mittlerweile in seiner dem Urteil des OLG zeitlich nachlaufenden Entscheidung "Entschädigungshöhe" vom 30.01.2020 (VII ZR 33/19) unabhängig von OLG Düsseldorf "AGK-Unterdeckung" klargestellt. Es bleibt die Frage zu erörtern, ob Entschädigung einen Ausgleich für Unterdeckung der im Preis angelegten AGK und den Nicht-Erlös eines Preisansatzes für W + G umfassen kann. Ich gehe dazu zunächst auf den ...

Fall und seine Beurteilung in der Vorinstanz

ein. In einem Bauvertrag zur Herstellung eines Wärmeverbundsystems - die VOB/B ist vereinbart - hat sich der Baubeginn aufgrund eines Behinderungsereignisses aus dem Verantwortungskreis der Auftraggeberin (Bestellerin, Beklagte) vom 30.08.2010 (Vertragsfrist) auf den 21.11.2011 verschoben, mithin um 310 Arbeitstage. Während dieses Zeitraums sei die Auftraggeberin nicht ihrer Obliegenheit nachgekommen, der Klägerin die Ausführung der beauftragten Leistungen zu ermöglichen, weshalb sie im Verzug der Annahme gewesen sei, so urteilte das Landgericht in der Vorinstanz. Das Landgericht weiter: Die Klägerin könne Entschädigung beanspruchen. Die Höhe der Entschädigung bestimme sich nach § 642 Abs. 2 BGB. Darunter könne die Klägerin Ersatz ihrer Allgemeinen Geschäftskosten sowie des in der Vergütung kalkulierten Anteils für Wagnis und Gewinn verlangen. In der ...

Berufung

konzentrierte die Beklagte ihren Vortrag auf die Unterdeckung der Allgemeinen Geschäftskosten. Sie macht geltend, die Klägerin habe keinen pauschalen Anspruch auf die Erstattung nicht verdienter Allgemeiner Geschäftskosten. Sie hätte vielmehr darlegen müssen, wie sie den Ablauf des gesamten Bauvorhabens geplant habe und wann es bei konkreten Personen, Personengruppen oder Baumaschinen zu Produktionsstillständen gekommen sei. Stillstände wären im Einzelnen konkret darzulegen gewesen. § 642 BGB gewähre nur eine Entschädigung dafür, dass infolge des Unterlassen einer dem Besteller obliegenden Mitwirkungshandlung Personal etc. bereitgehalten werde. Bereits nach dem Sachvortrag der Klägerin sei die Annahme gerechtfertigt, dass Personal und Geräte anderweitig habe eingesetzt werden können. Es sei der Klägerin möglich gewesen, die Deckungsbeiträge für die Geschäftskosten (anderweitig) zu erwirtschaften.

Beurteilung des OLG

Die Beklagte befand sich über 310 Arbeitstage im Annahmeverzug (§ 293 ff. BGB). Die Auftragnehmerin (Unternehmerin, Klägerin) galt nach Lage des Streits während der gesamten Zeit als leistungsbereit, so dass der Annahmeverzug der Beklagten nach § 297 BGB nicht ausgeschlossen war. Die geltend gemachten Positionen - die Klägerin hatte durch die Baustartverzögerung entgangene AGK und W + G im Unterdeckungsansatz geltend gemacht - seien allerdings vom Sinn und Zweck des § 642 BGB nicht erfasst. Denn § 642 BGB gewähre keinen Anspruch auf Erstattung von Allgemeinen Geschäftskosten bzw. Wagnis und Gewinn, ohne dass die Auftragnehmerin Personal oder Maschinen tatsächlich (im Leerlauf) vorgehalten habe.

Die Vorschrift des § 642 BGB gewähre keine Entschädigung für AGK unabhängig von einem tatsächlichen und nutzlosen Vorhalten von Personal oder Maschinen, so das OLG noch zutreffend und konform mit BGH "Entschädigungshöhe"; siehe oben. So weit, so gut.

Hätte die Auftragnehmerin vom OLG die begehrte Entschädigung zugesprochen bekommen, wenn sie zur Abwägung der Entschädigungshöhe im Ausgangspunkt die während des Annahmeverzugs unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel (leer laufend), insbesondere Personal oder Maschinen, festgestellt hätte und anschließend dem leerlaufenden Personal die darauf entfallenden Anteile aus der Gesamtvergütung zugeordnet hätte, die nach der ungestörten Bauabwicklung von diesem Personal als Bauleistung erbracht worden wäre? Das wäre die Höhe der "vereinbarten Vergütung" im Sinne des § 642 Abs. 2 BGB.

Nein, weit gefehlt.

Das OLG

folgt nicht der Idee des Ausgleichs von behinderungsveranlasst nicht gedeckten AGK und des W + G, es folgt nicht dem AGK- und W + G-Unterdeckungsansatz. Vielmehr sei dem Unternehmer auf einen nach § 642 BGB zu erstattenden Mehraufwand der konkret hierfür kalkulierte AGK-Aufschlag zu gewähren ("Zuschlagsmethode"). Dabei seien die infolge der Bauablaufstörung zusätzlich angefallenen Aufwendungen zu ermitteln und mit dem kalkulierten prozentualen Zuschlagssatz für AGK zu beaufschlagen; verwiesen wird auf Stickler in Messerschmidt/Voit, 3. Auflage 2018, BGB § 642 Rn. 47.

Das wäre die Zuschlagslösung, die "unten" bei den direkten Kosten der Leistungsbereitschaft ansetzt, und das wäre zu wenig. Vor allem wäre das dem Gesetz entgegen. Denn nach § 642 Abs. 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung auch nach der "vereinbarten Vergütung" und damit dem, was damit abgegolten werden soll. Das sind unter anderem AGK und W + G in ihrer Gänze.

Das OLG weiter

Im Sinne von Zuschlag - und nicht mit dem Unterdeckungsausgleich - verstehe der Senat am OLG das obiter dictum in BGH "Entschädigungsdauer" vom 26.10.2017 - VII ZR 16/17, BauR 2018, 242. Nach dem Verständnis des Senats seien auf die Lohnmehrkosten Zuschläge für AGK sowie Gewinn und Wagnis zu geben. Vorauszusetzen seien dann aber zunächst Mehrkosten für leerlaufendes Personal, auf die die ursprünglich kalkulierten Zuschläge für AGK und W + G anzuwenden seien.

Nein, so ist das vom OLG in Bezug genommenen obiter dictum des BGH in "Entschädigungsdauer" gerade nicht zu verstehen. Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, es bestehe ...

"Veranlassung zu der Klarstellung, dass bei der Bemessung der Entschädigung gemäß § 642 Abs. 2 BGB die 'Höhe der vereinbarten Vergütung' zu berücksichtigen ist, die auch den in dieser Vergütung enthaltenen Anteil für Gewinn, Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten einschließen kann."
Das führt auf den vom Gesetz vorgezeichneten Weg. Es ist die "Höhe der vereinbarten Vergütung" zu berücksichtigen, die auch den in dieser Vergütung enthaltenen Anteil für AGK und W + G einschließen kann. Die Formulierung des BGH ist klar: In der "vereinbarten Vergütung" können AGK und W + G enthalten sein, die ggf. bei der Bemessung der Entschädigung mit ihrem vollständigen kalkulierten Ansatz und nicht nur als Zuschlag zu berücksichtigen sind.

Das OLG irrt.

Althaus hat im Anschluss an BGH "Entschädigungsdauer" und das dortige obiter dictum (siehe oben) vorgeschlagen, für den Vortrag der Entschädigungshöhe im Rahmen der Dauer des Annahmeverzugs für den in diesem Zeitrahmen behinderungsveranlasst frustrierten Teil der vereinbarten Vergütung festzustellen, welche Produktionsmittel (Personal, Geräte und Kapital) unproduktiv in Leistungsbereitschaft bereitgehalten worden sind, und - weiterführend -, welche Anteile aus der vereinbarten Gesamtvergütung darauf entfallen; NZBau 2018, 643. Dem schloss sich der Bundesgerichtshof ohne weiteres an. Es sei die angemessene Entschädigung "im Ausgangspunkt daran zu orientieren, welche Anteile der vereinbarten Gesamtvergütung ... auf die vom Unternehmer während des Annahmeverzugs unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallen."

Das OLG Düsseldorf sieht zutreffend zwar auch, die Vorschrift des § 642 BGB gewähre keine Entschädigung für AGK und W + G unabhängig von einem tatsächlichen und nutzlosen Bereithalten von Personal oder Betriebsmitteln. Das Gericht geht aber - dem Gesetz, das die "vereinbarte Vergütung" als wesentliche Bestimmungsgröße vorgibt, entgegen - auf die Zuschlagslösung zur Erfassung von AGK und W + G.
Das dürfte keinen Bestand haben. Richtigerweise ist die Unterdeckungslösung anzuwenden. Sie geht über die gesetzlich angeordnete "vereinbarte Vergütung" (§ 642 Abs. 2 BGB) direkt auf die behinderungsveranlasst nicht gedeckten AGK und das nicht gedeckte W + G im frustrierten Umsatz bei Leistungsbereitschaft. Das ist der Teil des Gesamtumsatzes, der von den im Leerlauf bereitgehaltenen Produktionsmitteln im ungestörten Fall hätte zur Abrechnung erarbeitet werden können

Umsatz! Nicht Aufwand im Leerlauf.

Der BGH drückt das insgesamt so aus: Im Ausgangspunkt seien die "Anteile der vereinbarten Gesamtvergütung ... [zu bestimmen, die] auf die vom Unternehmer während des Annahmeverzugs unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallen" , Umsätze, "die auch den in dieser Vergütung enthaltenen Anteil für Gewinn, Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten einschließen" können.

Das heißt:

Der Unternehmer kann den Deckungsbeitrag von durch Annahmeverzug nicht zur Ausführung und Abrechnung ermöglichten Umsatz aus der Unterdeckungslösung beanspruchen. Das freilich begrenzt auf jenen Umsatzanteil, zu dem der Unternehmer die Leistungsbereitschaft seiner Produktionsmittel nachweisen kann.



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 20.09.2021 um 16:17 Uhr)

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