IBR 2021, 573
IBR 2021, 573

Abbrucharbeiten mit Bagger: Mitursächlichkeit reicht für Haftung!

1. Die Mitursächlichkeit der Arbeiten eines Abbruchunternehmers reicht für seine Haftung aus.
2. Für die Mitursächlichkeit von Baggerarbeiten für den späteren Absturz eines Betonbinders spricht der Beweis des ersten Anscheins, wenn der Abbruchunternehmer gegen technische Regeln verstoßen hat, deren Zweck im Schutz von Menschen und benachbarten Sachwerten besteht.
3. Der Auftraggeber muss sich ein Mitverschulden von 30% am Einsturz eines Gebäudeteils anrechnen lassen, wenn er nach einem ersten Teileinsturz die Abrissarbeiten unmittelbar in Auftrag gibt, statt einen Statiker hinzuzuziehen, um seinen Produktionsbetrieb möglichst schnell fortzuführen.

OLG Dresden, Urteil vom 05.08.2021 - 10 U 1729/19

BGB §§ 254, 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1; VVG § 110

Problem/Sachverhalt

Am 17.12.2010 bricht das Vordach einer Halle des Eigentümers (E) wegen hoher Schneelast zusammen. Am nächsten Tag findet eine Ortsbegehung statt, an der neben E u. a. ein von ihm herbeigerufener Architekt (A) und ein Abbruchunternehmer (U) teilnehmen. Zur Vermeidung einer Betriebsunterbrechung beauftragt E den U sogleich. Während der Abbrucharbeiten stürzt ein Dachbinder in der Halle ab. Dabei beschädigt er Versorgungsleitungen, Produktionsanlagen und die Dachabdichtung. U meldet Insolvenz an. E verklagt den Insolvenzverwalter (IV) auf Zahlung von 560.000 Euro und klagt gegen den Betriebshaftpflichtversicherer auf Feststellung, dass dieser verpflichtet ist, dem Insolvenzverwalter Deckungsschutz zu gewähren.

Entscheidung

Mit Erfolg! § 110 VVG ermöglicht dem Geschädigten gerade, das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Versicherungsforderung gegenüber dem IV ohne den Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren geltend zu machen, beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung. In der Sache stellt das OLG klar, dass sowohl ein vertraglicher als auch ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch gegen U und ihm folgend den IV besteht. Nach den sachverständigen Feststellungen steht fest, dass die Abbrucharbeiten zumindest mitursächlich für den abstürzenden Betonbinder waren. Nicht erforderlich ist festzustellen, dass der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand die überwiegende oder wesentliche Ursache für den eingetretenen Schaden ist. Für die Mitursächlichkeit der Baggerarbeiten spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Denn U hatte laut dem Gerichtssachverständigen gerade gegen Regeln verstoßen, die den Schutz von Menschen und Sachwerten bezwecken. E trifft jedoch ein Mitverschulden. Er hätte der Empfehlung des A, vor dem Abbruch einen Statiker oder Planer zu beauftragen, befolgen müssen, statt einseitig auf die Fortführung des Produktionsbetriebs zu achten. Das Gericht wertet die Sachkunde des U höher als das Verhalten des E, da E selbst über keine Fachkenntnisse verfügte. Weder A noch U hätten E "plastisch vor Augen geführt, welche Gefahren mit dem Abriss des eingestürzten Vordaches verbunden sein können".

Praxishinweis

Bei der Mitverursachungsquote hätte man auch eine höhere Quote zu Lasten des E annehmen können. E hatte zum Ortstermin vor Beauftragung der Abbrucharbeiten einen Architekten hinzugezogen, der ihm dringend empfohlen hatte, einen Statiker oder Prüfstatiker zu beauftragen, bevor die Arbeiten ausgeführt werden. E wollte aber die Produktion in der Halle nicht unterbrechen.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin Autorenprofil

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