IMR 2021, 1076 (nur online)
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Vorkaufsrecht zum Wohl der Allgemeinheit nur bei zeitnaher Verwirklichung!

Die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts bei einem im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans gelegenen Grundstück ist nur dann durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt, wenn die Gemeinde alsbald diejenigen Schritte unternimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel der Wohnraumbeschaffung zu verwirklichen (wie BVerwG, IBR 2010, 236).*)

VGH Hessen, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20

BauGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 24 Abs. 3 Satz 1

Problem/Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Gemeinde berechtigt gewesen ist, ihr gemeindliches Vorkaufsrecht auszuüben. Zur Begründung führt die Gemeinde dazu aus, dass das Grundstück im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans liege, der dort eine Wohnbaufläche vorsehe. Die Gemeinde beabsichtige zu gegebener Zeit für diese Flächen einen Bebauungsplan aufzustellen, sobald sie die (alle) hierfür erforderlichen Grundstücke erworben habe. Der Verkäufer wendet dagegen ein, dass der Flächennutzungsplan seit Mitte der 90er Jahre gelte, konkrete Planungen der Gemeinde bis dato nicht bestanden haben.

Entscheidung

Mit Erfolg! Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Zwar dürfen an die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Allein die Darstellung der Nutzung als Wohnbaufläche oder Wohngebiet im Flächennutzungsplan genügt jedoch nicht. Vielmehr müssen die betroffenen Flächen unmittelbar oder mittelbar für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden. Der Ausübung des Vorkaufsrechts sind mithin auch zeitliche Grenzen gesetzt. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers nur, wenn die Gemeinde alsbald diejenigen (weiteren) Schritte unternimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel, Wohnbauland bereitzustellen, zu verwirklichen. Im Regelfall gebietet dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung ("zur Vergrößerung ihres Eigentumsanteils") oder zum Erwerb von Grundstücken zur Verfügung, die später möglicherweise als Tauschgrundstücke im Rahmen der Verfolgung gänzlich anderer Zwecke verwendet werden sollten. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt die Ausübung des Vorkaufsrechts nämlich nur dann, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen und erkennbar ist, dass die Gemeinde alsbald diejenigen Schritte vornehmen wird, die erforderlich sind, um dieses städtebauliche Ziel zu verwirklichen. Der von der Gemeinde gewählte Weg, erst dann planerisch tätig zu werden, wenn sie Eigentümerin mehr oder weniger sämtlicher Flächen im Plangebiet ist, ist mit der vom Gesetzgeber gewollten Beschränkung in zeitlicher Hinsicht nicht vereinbar. Die Rechtfertigung zum Eingriff in die Privatautonomie der Betroffenen ist nicht gegeben, wenn die vom Gesetzgeber vorgesehenen Rechtfertigungsgründe auf unabsehbare Zeit nicht erfüllt werden können oder sollen. Die Gemeinde könne andernfalls ihr Vorkaufsrecht ausüben ohne gewährleisten zu müssen, dass und wann sie je von ihrem Planungsrecht Gebrauch machen wird.

Praxishinweis

Der erkennende Senat schließt sich damit den Entscheidungen des BVerwG (Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09, IBRRS 2010, 0625) und VGH Bayern (Urteil vom 03.02.2015 - 15 B 13.100) an, dass aus den jeweiligen Darstellungen entsprechender Verwendungsabsicht im Flächennutzungsplan nicht automatisch auf weitergehende ("unbefristete") Planungsabsichten der Gemeinde zur fortlaufenden Rechtfertigung des Allgemeinwohls zu schließen ist.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Christian Kruska, Stuttgart

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